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Knast oder Kühlfach: Roman (German Edition)

Knast oder Kühlfach: Roman (German Edition)

Titel: Knast oder Kühlfach: Roman (German Edition)
Autoren: Jutta Profijt
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Fußboden und ebenso weit von der Tussi am Strick entfernt, sahen die beiden Perlhühner sich erstaunlich ähnlich, denn auch Paulina Pleve war ganz in Weiß gekleidet. Als Engelchen ging sie in Jeans, T-Shirt und Tennissocken trotzdem nicht durch. Wahrscheinlicher war, dass die Tussi einem Zahnarzt den Saugrüssel hielt oder einem Allgemeinmediziner beim Spritzen half. Vielleicht war sie auch selbst die Zahnfee, Kinderärztin oder Orthopädin, das konnte ich allein an der Qualität der Tennissocken nicht erkennen.
    Katrin schenkte der Leiche zunächst wenig Beachtung. Dafür schaute sie sich umso genauer die alte Holzklappleiter an, die zu Füßen der Toten lag. Sie zog ein Maßband aus der Tasche, maß die Höhe der Leiter und den Abstand der baumelnden Füße zum Fußboden. Passte.
    Die Nummerngirls der Spusi, heute in der Mehrzahlmännlich, kamen ebenfalls in ihren weißen Overalls hereingewuselt, scheuchten Katrin kurz hinaus, suchten auf dem leicht staubigen Boden nach Fußspuren, stellten ihre Nummernkärtchen an der Leiter und an einer Wäscheklammer auf, maßen Entfernungen, machten Fotos und riefen Katrin dann wieder hinein.
    »Die lebte noch, als man sie hingehängt hat«, brummte eins der Nummerngirls in tiefstem Bass.
    »Woran erkennt der Fachmann das?«, fragte Katrin.
    »Schau dir doch an, wie die die Zunge rausstreckt.«
    »Die Zunge kommt auch bei einem Toten raus«, erwiderte Katrin mit hörbarer Schadenfreude. »Aber der starke Speichelfluss spricht dafür, dass sie noch lebte.«
    Ein Nummerngirl schlug einem anderen freundschaftlich auf die Denkschüssel, mehrere brummten mehr oder weniger hämisch, aber trotzdem ließen sie sich keine Sekunde von ihrer Arbeit ablenken. Tief gebückt und teils mit Lupen vor den Sehkugeln untersuchten sie den Boden. Die ganze Veranstaltung sah aus wie eine Performance Moderner Kunst, bei der gesichtslose Typen durcheinanderwimmeln, um so wichtige Menschheitsfragen zum Ausdruck zu bringen. Habe ich mal in der Glotze gesehen. Mich erinnerte es eher an eine Truppe Karosserielackierer mit einem Kontaktlinsenproblem.
    Nachdem sie alles abgegrast hatten, halfen die Spusis Katrin, die Leiche abzunehmen. Katrin sicherte die Spuren an der Toten, während die Nummerngirls mit dem weiteren Umfeld des Tatortes weitermachten. Sie ließen sich von dem Kollegen in Uniform erklären, wie er versucht hatte, den innen steckenden Schlüssel aus dem Türschloss zu rütteln, dieser aber nicht auf den unter der Tür durchgeschobenen Tapetenrest gefallen war. Daraufhin hatte er einen Säbel, den die Schürze ihm gebracht hatte, zwischen Türblatt und Pfosten geschoben und die Tür aufgehebelt.
    »Einen Säbel?«, fragte Gregor, der den Schluss mitgehört hatte.
    »Erbstück«, sagte die Uniform und zeigte auf ein mit Bommeln und Troddeln verziertes, schartiges Stück Metall, das am Rand des Treppenabsatzes lag.
    Die Tür einschließlich Rahmen wurde vermessen, wobei sich herausstellte, dass ein Kartoffelschälmesserchen zum Aufbruch vermutlich auch gereicht hätte, so verzogen war das alte Ding.
    Endlich hatten alle genug gesehen, Paulina Pleve wurde abtransportiert und Katrin nickte Gregor zu.
    »Mit allergrößter Wahrscheinlichkeit Selbstmord. Es stimmt alles: Die Höhe der Leiter für die Füße, Art und Sitz des Knotens …«
    »… die verschlossene Tür …«, fügte Gregor hinzu.
    »Dann hoffe ich, dass wir uns heute Abend sehen, bevor ich dich verlasse.« Nicht nur Gregor starrte Katrin an, als sie sich aus der weißen Pelle schälte. Der Schweiß hatte ihre luftige Bluse durchsichtig gemacht und die Härchen im Nacken gekringelt. Wenn überhaupt noch möglich, schoss die Temperatur auf dem Treppenabsatz um etliche Grad nach oben.
    Katrin fuhr ins Institut und führte die Obduktion gemeinsam mit Martin durch. Martin schnippelte, Katrin sabbelte die Erkenntnisse ins Diktiergerät.
    »Wenn ich mich umbringen wollte, würde ich keine quietschgrüne Wäscheleine nehmen, auf der die Nachbarn jahrelang ihre Unterhosen aufgehängt haben«, erklärte ich Martin, der gerade das Seil aus dem geschwollenen Halsgewebe herauslöste. »Ich würde mir ein schönes Seil kaufen. Eins, das angenehm auf der Haut liegt. Also auch kein Hanf, Sisal oder Jute. Weich müsste es sein, wie …«
    »Es wäre nichts dagegen einzuwenden, dass du dich endlichrichtig umbrächtest«, konterte Martin in Gedanken. »Allerdings hilft ein Seil in deiner Situation leider nicht.«
    »Aber findest du das nicht
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