Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Knapp am Herz vorbei

Knapp am Herz vorbei

Titel: Knapp am Herz vorbei
Autoren: J.R. Moehringer
Vom Netzwerk:
rausgeschnitten. Die Polen haben uns Iren wie Chorknaben aussehen lassen. Und die polnischen Cops waren die grausamsten von allen.
    Schrecklich, sagt Donald mit triefendem Sarkasmus.
    Wusstest du, dass Präsident Grover Cleveland hier oben Scharfrichter war?
    Tatsächlich?
    Es war Clevelands Job, dem Gefangenen die Schlinge um den Hals zu legen und ihn durch die Galgentür fallen zu lassen.
    Job ist Job, sagt Donald.
    Sie haben ihn den Henker von Buffalo genannt. Und dann ist sein Gesicht auf dem Tausend-Dollar-Schein gelandet.
    Ich merke, du liest immer noch deine amerikanische Geschichte, Willie.
    Sie erreichen einen Privatflugplatz. Ein junger Mann mit quadratischem Kopf und tiefem Grübchen im kantigen Kinn empfängt sie. Vermutlich der Schreiber. Er gibt Sutton die Hand und sagt seinen Namen, aber Sutton ist noch betrunkener als Donald und bekommt ihn nicht mit.
    Freut mich, Kleiner.
    Ganz meinerseits, Mr Sutton.
    Schreiber hat dichtes braunes Haar, tiefschwarze Augen und ein strahlendes Pepsodentlächeln. Auf jeder glatten Wange prangt ein roter Fleck wie ein glühendes Stück Kohle, vielleicht von der Kälte, wahrscheinlicher aber von der guten Gesundheit. Noch beneidenswerter ist seine Nase. Dünn und gerade wie eine Klinge.
    Es ist ein sehr kurzer Flug, erklärt er Sutton. Sind Sie bereit?
    Sutton betrachtet die tiefhängenden Wolken, das Flugzeug. Er betrachtet Schreiber. Dann Donald.
    Mr Sutton?
    Tja, Kleiner. Die Sache ist die. Ich bin ehrlich gesagt noch nie geflogen.
    Oh.
Oh
. Na ja. Es ist absolut sicher. Aber wenn Sie lieber bis morgen warten möchten.
    Nein. Je früher ich nach New York komme, desto besser. Mach’s gut, Donald.
    Frohe Weihnachten, Willie.
    Das Flugzeug hat vier Sitze. Zwei vorne, zwei hinten. Schreiber schnallt Sutton auf einem Rücksitz an und setzt sich anschließend vorne zum Piloten. Ein paar Schneeflocken fallen, als sie die Startbahn entlangrollen. Dann bleiben sie abrupt stehen, und der Pilot redet in das Bordfunkgerät, das Bordfunkgerät antwortet unter Knistern mit Zahlen und Codes, und plötzlich erinnert sich Sutton daran, wie er zum ersten Mal in einem Auto fuhr. Einem gestohlenen Auto. Das heißt, gekauft mit gestohlenem Geld. Gestohlen von Sutton. Er war fast achtzehn, und dieses neue Auto auf der Straße zu steuern war wie Fliegen. Und jetzt, fünfzig Jahre später, fliegt er gleich
durch die Luft
. Er spürt einen schmerzhaften Druck unterhalb des Herzens. Fliegen ist nicht sicher. Jeden Tag liest er in der Zeitung, dass wieder eine Maschine an einem Berggipfel zerschellt, auf einem Feld oder in einem See zu Bruch gegangen ist. Mit der Schwerkraft ist nicht zu scherzen. Die Schwerkraft ist eines der wenigen Gesetze, die Sutton nie gebrochen hat. Im Augenblick säße er lieber in Donalds GTO und würde über vereiste Nebenstraßen schlingern. Vielleicht kann er Donald dafür bezahlen, dass er ihn nach New York fährt. Oder vielleicht nimmt er den Bus. Oder er geht, verdammt, zu Fuß. Aber zuerst muss er aus diesem Flugzeug raus. Er fummelt an seinem Gurt.
    Doch der Motor heult bereits auf, das Flugzeug bäumt sich auf wie ein Pferd und jagt kreischend die Startbahn entlang. Sutton denkt an die Astronauten. Er denkt an Lindbergh. Er denkt an den Glatzkopf in der roten langen Unterhose, der immer aus einer Kanone auf Coney Island abgeschossen wurde. Er schließt die Augen, sagt ein Gebet und umklammert die Einkaufstüte mit seinen Habseligkeiten. Als er die Augen wieder öffnet, steht der Vollmond direkt vor seinem Fenster und schaut ihn an wie Jackie Gleason.
    Vierzig Minuten später erscheinen die ersten Lichter von Manhattan. Dann die grün-golden schimmernde Freiheitsstatue draußen im Hafen. Sutton presst sein Gesicht ans Fenster. Die einarmige Göttin. Sie winkt und lockt ihn zu sich. Ruft ihn nach Hause.
    Das Flugzeug neigt sich seitwärts und segelt in Richtung LaGuardia. Die Landung ist sanft. Während sie langsam die Piste entlangrollen, dreht Schreiber sich zu Sutton um. Alles in Ordnung, Mr Sutton?
    Meinetwegen können wir gleich noch mal, Kleiner.
    Schreiber lächelt.
    Seite an Seite gehen sie über die nasse, neblige Rollbahn zu einem wartenden Auto. Sutton denkt an Bogart und Claude Rains. Man hat ihm gesagt, er sehe ein bisschen wie Bogart aus.
    Schreiber redet auf ihn ein. Mr Sutton? Haben Sie gehört? Ich nehme an, Ihre Anwältin hat Ihnen alles wegen morgen erklärt.
    Ja, Kleiner.
    Schreiber wirft einen Blick auf die Uhr. Eigentlich sollte ich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher