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Knapp am Herz vorbei

Knapp am Herz vorbei

Titel: Knapp am Herz vorbei
Autoren: J.R. Moehringer
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Pappschachtel ab.
    Ich hab Milch und Zucker, ich wusste nicht, wie Sie ihn trinken.
    Sutton schließt die Tür und folgt Schreiber in die Suite. Gehen wir nicht unten im Restaurant frühstücken, Kleiner?
    Tut mir leid, Mr Sutton, das Restaurant ist viel zu öffentlich. Sie sind heute Morgen ein sehr berühmter Mann.
    Ich bin mein Leben lang berühmt gewesen, Kleiner.
    Aber heute sind Sie der berühmteste Mann in New York. Produzenten, Regisseure, Drehbuchautoren, Ghostwriter, Verleger – alle überwachen meine Zeitung. Es hat sich herumgesprochen, dass wir Sie haben. Merv Griffin rief heute Morgen schon zweimal in der Lokalredaktion an. Die Leute von Johnny Carson haben bei mir zu Hause vier Nachrichten hinterlassen. Wir dürfen nicht riskieren, dass jemand Sie im Restaurant entdeckt. Ich sehe schon vor mir, wie ein Kellner die
Times
anruft und sagt: Für fünfzig Dollar verrate ich Ihnen, wo Willie Sutton gerade frühstückt. Mein Ressortleiter würde mich lebendig häuten.
    Jetzt weiß Sutton wenigstens, dass Schreiber nicht für die
Times
arbeitet.
    Schreiber macht seine Aktentasche auf, holt einen Stapel Zeitungen heraus und hält Sutton eine vor die Nase. Auf der Titelseite ist Suttons Gesicht. Darüber in riesig großen Buchstaben: WEIHNACHTSMANN BEFREIT WILLIE SUTTON .
    Sutton nimmt die Zeitung und hält sie auf Armeslänge von sich. Der Weihnachtsmann, sagt er stirnrunzelnd. Mir ist wirklich schleierhaft, warum der Typ so viel gute Presse kriegt. Ein pummeliger Fassadenkletterer. Ist Hausfriedensbruch legal, wenn man einen roten Samtanzug trägt?
    Er sieht Schreiber an und erwartet Bestätigung. Doch der zuckt die Schultern. Ich bin Jude, Mr Sutton.
    Oh.
    Sutton merkt, dass Schreiber gern von ihm hören würde: Du kannst Willie zu mir sagen. Es liegt ihm fast auf der Zunge, aber es geht nicht. Er mag die Hochachtung. Sie fühlt sich gut an. Sutton kann sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal von jemand anderem als einem Richter mit Mr Sutton angesprochen wurde. Er kehrt zu dem Ohrensessel zurück. Schreiber setzt sich mit seinem Pappbecher Kaffee in den zweiten Ohrensessel, pult den Plastikdeckel ab und trinkt einen Schluck. Jetzt beugt er sich beflissen vor. Gut, Mr Sutton, sagt er, wie fühlt es sich an, berühmt zu sein?
    Ich glaube, du hast mir nicht zugehört, Kleiner. Ich bin mein ganzes Leben lang berühmt gewesen.
    Sie sind berühmt-berüchtigt gewesen.
    Das ist jetzt aber Haarspalterei.
    Damit meine ich, dass Sie eine
lebende Legende
sind.
    Ich bitte dich, Kleiner.
    Sie sind eine Ikone.
    Ach was.
    O doch, Mr Sutton. Darum ist meine Zeitung ja so scharf auf Ihre Geschichte. Auf der Seite-eins-Konferenz gestern sagte der Chef vom Dienst, dass Sie fast schon mythischen Status haben.
    Sutton macht große Augen. Mann, ihr Zeitungsleute habt es wirklich mit den Mythen.
    Wie bitte?
    Mythen verkaufen, genau das macht ihr. Die Titelseite, die Sportseite, die Wirtschaftsseite – alles Mythen.
    Also, ich glaube nicht –
    Ich hab das auch gern gelesen. Als ich noch ein Kind war. Ich hab alles in mich aufgesaugt. Nicht nur Zeitungen – Comics, Horatio Alger, die Bibel, den ganzen amerikanischen Traum. Genau das hat mich erst so durcheinandergebracht. Die verdammten Mythen.
    Ich glaube, ich habe nicht genug Kaffee getrunken.
    Dann trink Champagner.
    Nein. Danke. Mr Sutton, ich sage doch nur, Amerika liebt einen Bankräuber.
    Tatsächlich. Dann hat Amerika eine komische Art, das zu zeigen. Ich saß mein halbes Leben lang hinter Gittern.
    Zum Beispiel Ihr berühmter Spruch. Er ist nicht umsonst Teil der Kultur geworden.
    Sutton drückt seine Zigarette aus und stößt zwei Rauchwolken durch die Nase aus. Weil die Nasenlöcher unterschiedlich groß sind, sind auch die Wolken unterschiedlich groß, was Sutton schon immer geärgert hat.
    Welchen Spruch meinst du, Kleiner?
    Das wissen Sie doch.
    Sutton sieht ihn fragend an. Irgendwie hat er seinen Spaß mit diesem jungen Mann.
    Mr Sutton, Sie erinnern sich bestimmt daran. Als Sie gefragt wurden, warum Sie Banken ausgeraubt haben, war Ihre Antwort: Weil dort das Geld lag.
    Ah, richtig. Jetzt erinnere ich mich. Nur habe ich das nie gesagt.
    Schreibers Gesicht fällt zusammen.
    Diesen Spruch hat sich einer deiner Kollegen ausgedacht, Kleiner. Und ihn dann mir zugeschrieben.
    Oh nein.
    Wie gesagt. Mythen. Schon mein ganzes Leben lang war es so, dass Reporter mich besser oder schlechter dargestellt haben, als ich bin.
    Puh! Ich muss mich für meinen
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