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Knapp am Herz vorbei

Knapp am Herz vorbei

Titel: Knapp am Herz vorbei
Autoren: J.R. Moehringer
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der einen Finger auf sein Grübchen legt und mehrmals draufdrückt, als handle es sich um einen Notknopf.
    Sutton tritt entschieden auf Schreiber zu, nimmt eine lockere Haltung an und vermittelt gleichzeitig den Eindruck totaler Kontrolle. Eine Technik, die er früher bei Bankdirektoren angewandt hat. Besonders bei solchen, die angeblich die Safekombination vergessen hatten.
    Für einen Jungreporter wirkst du ziemlich schlau, verscheißern wir uns also nicht gegenseitig. Wir wissen beide, du willst nur eine Geschichte. Für dich, deine Karriere, deine Zeitung, für wen auch immer, ist es eine wichtige Geschichte, sicher, aber eben doch nur eine Geschichte. Nächste Woche bist du an der nächsten Geschichte, und nächsten Monat erinnerst du dich gar nicht mehr an Willie. Ich dagegen bin hinter meiner Geschichte her, es ist die einzige, die für mich zählt. Überleg es dir. Ich bin frei.
Frei!
Zum ersten Mal seit siebzehn Jahren. Natürlich will ich in die Vergangenheit, denselben Weg noch einmal gehen und sehen, wo ich abgekommen bin. Und das muss ich auf meine Weise tun, Kleiner, anders geht es nicht für mich. Und es muss jetzt sein, Kleiner, denn ich weiß nicht, wie viel Zeit mir noch bleibt. Mein Bein, das völlig im Arsch ist, sagt mir, nicht sehr viel. Du kannst mein Fahrer sein oder nicht. Das bleibt dir überlassen. Aber du musst dich entscheiden. Jetzt.
    Ich bin nicht Ihr Fahrer.
    Na schön. Nichts für ungut.
    Wir treffen einen Knipser. Er fährt.
    Einen was?
    Einen Fotog. Entschuldigung – Fotografen. Wahrscheinlich ist er inzwischen schon unten.
    Du bist also dabei?
    Sie lassen mir keine Wahl, Mr Sutton.
    Sag es.
    Was?
    Sag, dass du dabei bist.
    Warum?
    Wenn ich früher mit einem Kumpel ein Ding gedreht habe, musste ich immer von ihm hören, dass er dabei ist. Damit es später keine Missverständnisse gab.
    Schreiber trinkt einen Schluck Kaffee. Mr Sutton, ist das wirklich –
    Sag es.
    Ich bin dabei, ich bin dabei.
     
    Sutton steigt leise fluchend in den Aufzug. Warum ist er die ganze Nacht aufgeblieben? Warum hat er bloß so viel Whiskey mit Donald getrunken? Und den ganzen Champagner heute Morgen? Und was verdammt ist mit diesem Aufzug los? Er war ohnehin schon leicht wackelig auf den Beinen, aber von diesem freien Fall nach unten in die Lobby, der dem Sturz einer Raumkapsel zur Erde gleicht, wird ihm ganz schwindelig. Früher waren Aufzüge noch erträglich, angenehm langsam. Wie Menschen.
    Mit einem Ping und einem Plumps landet der Aufzug. Die Türen öffnen sich geräuschvoll. Schreiber, der Suttons schmerzverzerrte Miene nicht bemerkt, schaut nach links und nach rechts, um sich zu vergewissern, dass keine anderen Journalisten hinter den Palmen in der Lobby lauern. Dann führt er Sutton an der Rezeption und am Portier vorbei durch die Drehtür. Direkt vor dem Plaza steht ein sienabrauner 1968 er Dodge Polara, aus dessen Auspuff Qualm dringt wie Wasser aus einer Leitung.
    Ist das dein Auto, Kleiner?
    Nein. Ein Funkwagen der Zeitung.
    Sieht aus wie ein Polizeiauto.
    Genau genommen ist es ein umgebautes Polizeiauto.
    Schreiber öffnet die Beifahrertür. Er und Sutton sehen hinein. Ein kräftiger Mann sitzt hinterm Steuer. Er ist etwa in Schreibers Alter, Anfang zwanzig, trägt aber eine Wildlederjacke mit Fransen, die ihn aussehen lässt wie einen Fünfjährigen, der Cowboy und Indianer spielt. Nein, mit seinen schulterlangen Haaren und dem Fu-Manchu-Bart sieht er aus wie ein erwachsener Mann, der so tut, als wäre er ein Fünfjähriger, der Cowboy und Indianer spielt. Unter der Wildlederjacke trägt er einen Norwegerpulli und um den Hals einen rotweiß-gestreiften Wollschal –, beides macht jeglichen angestrebten Westernlook zunichte. Er lächelt. Schlechte Zähne. Nettes Lächeln, aber schlechte Zähne. Das genaue Gegenteil von Schreibers Zähnen. Und sie sind so groß, wie sie schlecht sind. Seine Augen sind ebenfalls groß und flammend rot, wie Lifesaver-Bonbons mit Kirschgeschmack. Für ein Lifesaver würde Sutton jetzt alles geben.
    Mr Sutton, sagt Schreiber, ich möchte Ihnen den besten Knipser unserer Zeitung vorstellen. Den
besten
.
    Schreiber nennt einen Namen, aber Sutton bekommt ihn nicht mit. Frohe Weihnachten, sagt Sutton und gibt Knipser die Hand.
    Gleichfalls, Mann.
    Sutton steigt nach hinten auf den Rücksitz, auf dem alles Mögliche liegt. Ein Stoffbeutel. Eine lederne Kameratasche. Eine rosa Pappschachtel mit Gebäck. Ein Stapel Zeitungen und Magazine, darunter
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