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Klingsors letzter Sommer

Klingsors letzter Sommer

Titel: Klingsors letzter Sommer
Autoren: Hermann Hesse
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siamesischen
    Zwilling stehen muß, Gipskopf neben
    Gipskopf, und daß man ihre gesammelten
    Werke herumstehen sieht und sie in den
    Schulen erklärt. Es ist schauderhaft. Denke
    dir, ein Professor in hundert Jahren, wie er
    den Gymnasiasten predigt: Klingsor, ge-
    boren 877, und sein Zeitgenosse Louis,
    genannt der Vielfraß, Erneuerer der Male-
    rei, Befreiung vom Naturalismus der
    Farbe, bei näherer Betrachtung zerfällt dies
    Künstlerpaar in drei deutlich unterscheid-
    bare Perioden! Lieber komme ich noch
    heut unter eine Lokomotive.«
    »Gescheiter wäre es, es kämen die Profes-
    soren darunter.«
    »So große Lokomotiven gibt es nicht. Du
    weißt, wie kleinlich unsre Technik ist.«
    Schon kamen Sterne herauf. Plötzlich stieß
    Louis sein Glas an das des Freundes.
    »So, wir wollen anstoßen und austrinken.
    Dann setze ich mich auf mein Rad und
    adieu. Nur keinen langen Abschied! Der
    Wirt ist bezahlt. Prosit, Klingsor!«
    Sie stießen an, sie tranken aus, im Garten
    stieg Louis aufs Zweirad, schwang den
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    Hut, war fort. Nacht, Sterne. Louis war in
    China. Louis war eine Legende.
    Klingsor lächelte traurig. Wie liebte er die-
    sen Zugvogel! Lange stand er im Kies des
    Wirtsgartens, sah die leere Straße hinab.
    Der Kareno-Tag
    Zusammen mit den Freunden aus
    Barengo und mit Agosto und Ersilia
    unternahm Klingsor die Fußreise nach
    Kareno. Sie sanken in der Morgenstunde,
    zwischen den stark duftenden Spiräen und
    umzittert von den noch betauten Spinnge-
    weben der Waldränder, durch den steilen
    warmen Wald hinab in das Tal von Pam-
    pambio, wo vom Sommertag betäubt an
    der gelben Straße grelle gelbe Häuser
    schliefen, vornübergeneigt und halbtot,
    und am versiegten Bach die weißen metal-
    lenen Weiden hingen mit schweren Flügeln
    über den goldenen Wiesen. Farbig
    schwamm die Karawane der Freunde auf
    der rosigen Straße durch das dampfende
    Talgrün: die Männer weiß und gelb in Lei-
    nen und Seide, die Frauen weiß und rosa,
    der herrliche veronesergrüne Sonnen-
    schirm Ersilias funkelte wie ein Kleinod im
    Zauberring.
    Melancholisch klagte der Doktor mit der
    menschenfreundlichen Stimme: »Es ist ein
    Jammer, Klingsor, Ihre wunderbaren
    Aquarelle werden in zehn Jahren alle weiß
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    sein; diese Farben, die Sie bevorzugen, hal-
    ten alle nicht.«
    Klingsor: »Ja, und was noch schlimmer ist:
    Ihre schönen braunen Haare, Doktor, wer-
    den in zehn Jahren alle grau sein, und eine
    kleine Weile später liegen unsere hübschen
    frohen Knochen irgendwo in einem Loch
    in der Erde, leider auch Ihre so schönen
    und gesunden Knochen, Ersilia. Kinder,
    wir wollen nicht so spät im Leben noch
    anfangen, vernünftig zu werden. Her-
    mann, wie spricht Li Tai Pe?«
    Hermann der Dichter blieb stehen und
    sprach:
    »Das Leben vergeht wie ein Blitzstrahl,
    Dessen Glanz kaum so lange währt, daß
    man ihn sehen kann.
    Wenn die Erde und der Himmel ewig
    unbeweglich stehen,
    Wie rasch fliegt die wechselnde Zeit über
    das Antlitz der Menschen.
    O du, der du beim vollen Becher sitzest
    und nicht trinkst,
    O sage mir, auf wen wartest du noch?«
    »Nein«, sagte Klingsor, »ich meine den an-
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    dern Vers, mit Reimen, von den Haaren,
    die am Morgen noch dunkel waren –«
    Hermann sagte alsbald den Vers:
    »Noch am Morgen glänzten deine Haare
    wie schwarze Seide,
    Abend hat schon Schnee auf sie getan,
    Wer nicht will, daß er lebendigen Leibes
    sterbend leide,
    Schwinge den Becher und fordre den
    Mond als Kumpan!«
    Klingsor lachte laut, mit seiner etwas hei-
    seren Stimme.
    »Braver Li Tai Pe! Er hatte Ahnungen, er
    wußte allerlei. Auch wir wissen allerlei, er
    ist unser alter kluger Bruder. Dieser trun-
    kene Tag würde ihm gefallen, es ist gerade
    so ein Tag, an dessen Abend es schön wäre,
    den Tod Li Tai Pes zu sterben, im Boot auf
    dem stillen Fluß. Ihr werdet sehen, alles
    wird heut wunderbar sein.«
    »Was war das für ein Tod, den Li Tai Pe auf
    dem Fluß gestorben ist?« fragte die Male-
    rin.
    Aber Ersilia unterbrach, mit ihrer guten
    tiefen Stimme: »Nein, jetzt höret auf! Wer
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    noch ein Wort von Tod und Sterben sagt,
    den habe ich nicht mehr lieb. Finisca
    adesso, brutto Klingsor!«
    Klingsor kam lachend zu ihr herüber: »Wie
    haben Sie recht, bambina! Wenn ich noch
    ein Wort vom Sterben sage, dürfen Sie mir
    mit dem Sonnenschirm in beide Augen sto-
    ßen. Aber im Ernst, es ist heut wunderbar,
    liebe Menschen! Ein Vogel singt heut, der
    ist ein Märchenvogel, ich hab ihn schon am
    Morgen
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