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Klingsors letzter Sommer

Klingsors letzter Sommer

Titel: Klingsors letzter Sommer
Autoren: Hermann Hesse
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weiter getrieben und
    immer mit zehn Leben gelebt. Und wenn
    auch nie die Sättigung, niemals die volle
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    brausende Symphonie zu erreichen war –
    einstimmig und arm war sein Lied doch
    nicht gewesen, immer doch hatte er ein
    paar Saiten mehr auf seinem Spiel gehabt
    als andere, ein paar Eisen mehr im Feuer,
    ein paar Taler mehr im Sack, ein paar Rosse
    mehr am Wagen! Gott sei Dank!
    Wie klang die dunkle Gartenstille voll und
    durchpulst herein, wie Atem einer schla-
    fenden Frau! Wie schrie der Pfau! Wie
    brannte das Feuer in der Brust, wie schlug
    das Herz und schrie und litt und jubelte
    und blutete. Es war doch ein guter Som-
    mer hier oben in Castagnetta, herrlich
    wohnte er in seiner alten noblen Ruine,
    herrlich blickte er auf die raupigen Rücken
    der hundert Kastanienwälder hinab, schön
    war es, je und je aus dieser edlen alten
    Wald- und Schloßwelt gierig hinabzustei-
    gen und das farbige frohe Spielzeug drun-
    ten anzuschauen und in seiner guten frohen
    Grellheit zu malen: die Fabrik, die Eisen-
    bahn, den blauen Tramwagen, die Plakat-
    säule am Kai, die stolzierenden Pfauen,
    Weiber, Priester, Automobile. Und wie
    schön und peinigend und unbegreiflich
    war dies Gefühl in seiner Brust, diese Liebe
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    und flackernde Gier nach jedem bunten
    Band und Fetzen des Lebens, dieser süße
    wilde Zwang zu schauen und zu gestalten,
    und doch zugleich heimlich, unter dünnen
    Decken, das innige Wissen von der Kind-
    lichkeit und Vergeblichkeit all seines Tuns!
    Fiebernd schmolz die kurze Sommernacht
    hinweg, Dampf stieg aus der grünen Tal-
    tiefe, in hunderttausend Bäumen kochte der
    Saft, hunderttausend Träume quollen in
    Klingsors leichtem Schlummer auf, seine
    Seele schritt durch den Spiegelsaal seines
    Lebens, wo alle Bilder vervielfacht und je-
    desmal mit neuem Gesicht und neuer Be-
    deutung sich begegneten und neue Verbin-
    dungen eingingen, als würde ein Sternhim-
    mel im Würfelbecher durcheinanderge-
    schüttelt.
    Ein Traumbild unter den vielen entzückte
    und erschütterte ihn: Er lag in einem
    Walde und hatte ein Weib mit rotem Haar
    auf seinem Schoß, und eine Schwarze lag
    an seiner Schulter, und eine andere kniete
    neben ihm, hielt seine Hand und küßte
    seine Finger, und überall und rundum wa-
    ren Frauen und Mädchen, manche noch
    Kinder, mit dünnen hohen Beinen, manche
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    in voller Blüte, manche reif und mit den
    Zeichen des Wissens und der Ermüdung in
    den zuckenden Gesichtern, und alle liebten
    ihn, und alle wollten von ihm geliebt sein.
    Da brach Krieg und Flamme zwischen den
    Weibern aus, da griff die Rote mit rasender
    Hand in das Haar der Schwarzen und riß
    sie daran zu Boden und ward selber hinab-
    gerissen, und alle stürzten sich aufeinander,
    jede schrie, jede riß, jede biß, jede tat weh,
    jede litt Weh, Gelächter, Wutschrei und
    Schmerzgeheul klang ineinander ver-
    wickelt und verknotet, Blut floß überall,
    Krallen schlugen blutig in feistes Fleisch.
    Mit einem Gefühl von Wehmut und Be-
    klemmung erwachte Klingsor für Minu-
    ten, weit offen starrten seine Augen nach
    dem lichten Loch in der Wand. Noch stan-
    den die Gesichter der rasenden Weiber vor
    seinem Blick, und viele von ihnen kannte
    und nannte er mit Namen: Nina, Hermine,
    Elisabeth, Gina, Edith, Berta und sagte mit
    heiserer Stimme noch aus dem Traum her-
    aus: »Kinder, hört auf! Ihr lügt ja, ihr lügt
    mich ja an; nicht euch müsset ihr zerreißen,
    sondern mich, mich!«
    Louis
    Louis der Grausame war vom Himmel
    gefallen, plötzlich war er da, Klingsors
    alter Freund, der Reisende, der Unbere-
    chenbare, der in der Eisenbahn wohnte
    und dessen Atelier sein Rucksack war. Gu-
    te Stunden tropften vom Himmel dieser Ta-
    ge, gute Winde wehten. Sie malten gemein-
    sam, auf dem Ölberg und in Cartago.
    »Ob diese ganze Malerei eigentlich einen
    Wert hat?« sagte Louis auf dem Ölberg,
    nackt im Grase liegend, den Rücken rot
    von der Sonne. »Man malt doch bloß faute
    de mieux, mein Lieber. Hättest du immer
    das Mädchen auf dem Schoß, das dir ge-
    rade gefällt, und die Suppe im Teller, nach
    der heute dein Sinn steht, du würdest dich
    nicht mit dem wahnsinnigen Kinderspiel
    plagen. Die Natur hat zehntausend Farben,
    und wir haben uns in den Kopf gesetzt, die
    Skala auf zwanzig zu reduzieren. Das ist die
    Malerei. Zufrieden ist man nie, und muß
    noch die Kritiker ernähren helfen. Hinge-
    gen eine gute Marseiller Fischsuppe, caro
    mio, und ein kleiner lauer Burgunder dazu,
    und nachher ein
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