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Klingsors letzter Sommer

Klingsors letzter Sommer

Titel: Klingsors letzter Sommer
Autoren: Hermann Hesse
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Mailänder Schnitzel, zum
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    Dessert Birnen und einen Gorgonzola, und
    ein türkischer Kaffee – das sind Realitäten,
    mein Herr, das sind Werte! Wie ißt man
    schlecht in eurem Palästina hier! Ach Gott,
    ich wollte, ich wär in einem Kirschbaum,
    und die Kirschen wüchsen mir ins Maul,
    und grade über mir auf der Leiter stünde
    das braune heftige Mädchen, dem wir heut
    früh begegnet sind. Klingsor, gib das Ma-
    len auf! Ich lade dich zu einem guten Essen
    in Laguno ein, es wird bald Zeit.«
    »Gilt es?« fragte Klingsor blinzelnd.
    »Es gilt. Ich muß nur vorher noch schnell
    an den Bahnhof. Nämlich, offen gestanden,
    ich habe einer Freundin telegraphiert, daß
    ich am Sterben sei, sie kann um elf Uhr da
    sein.«
    Lachend riß Klingsor die begonnene Stu-
    die vom Brett.
    »Recht hast du, Junge. Gehen wir nach
    Laguno! Zieh dein Hemd an, Luigi. Die
    Sitten hier sind von großer Unschuld, aber
    nackt kannst du leider nicht in die Stadt
    gehen.«
    Sie gingen ins Städtchen, sie gingen zum
    Bahnhof, eine schöne Frau kam an, sie aßen
    schön und gut in einem Restaurant, und
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    Klingsor, der dies in seinen ländlichen Mo-
    naten ganz vergessen hatte, war erstaunt,
    daß es alle diese Dinge noch gab, diese
    lieben heiteren Dinge: Forellen, Lachs-
    schinken, Spargeln, Chablis, Walliser
    Dole, Benediktiner.
    Nach dem Essen fuhren sie, alle drei, in der
    Seilbahn durch die steile Stadt hinauf, quer
    durch die Häuser, an Fenstern und hängen-
    den Gärten vorüber, es war sehr hübsch,
    sie blieben sitzen und fuhren wieder hinab,
    und noch einmal hinauf und hinab. Sonder-
    bar schön und seltsam war die Welt, sehr
    farbig, etwas fragwürdig, etwas unwahr-
    scheinlich, jedoch wunderschön. Klingsor
    nur war ein wenig befangen, er trug Kalt-
    blütigkeit zur Schau, wollte sich nicht in
    Luigis schöne Freundin verlieben. Sie gin-
    gen nochmals in ein Cafe, sie gingen in den
    leeren mittäglichen Park, legten sich am
    Wasser unter die Riesenbäume. Vieles sa-
    hen sie, was hätte gemalt werden müssen:
    rote edelsteinerne Häuser in tiefem Grün,
    Schlangenbäume und Perückenbäume,
    blau und braun berostet.
    »Du hast sehr liebe und lustige Sachen ge-
    malt, Luigi«, sagte Klingsor, »die ich alle
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    sehr liebe: Fahnenstangen, Clowns, Zir-
    kusse. Aber das Liebste von allem ist mir
    ein Fleck auf deinem nächtlichen Karus-
    sellbild. Weißt du, da weht über dem vio-
    letten Gezelt und fern von all den Lichtern
    hoch oben in der Nacht eine kühle kleine
    Fahne, hellrosa, so schön, so kühl, so ein-
    sam, so scheußlich einsam! Das ist wie ein
    Gedicht von Li Tai Pe oder von Paul Ver-
    laine. In dieser kleinen, dummen Rosa-
    fahne ist alles Weh und alle Resignation der
    Welt, und auch noch alles gute Lachen
    über Weh und Resignation. Daß du dieses
    Fähnchen gemalt hast, damit ist dein Leben
    gerechtfertigt, ich rechne es dir hoch an,
    das Fähnchen.«
    »Ja, ich weiß, daß du es gern hast.«
    »Du selber hast es auch gern. Schau, wenn
    du nicht einige solche Sachen gemalt hät-
    test, dann würden alle guten Essen und
    Weine und Weiber und Kaffees dir nichts
    helfen, du wärest ein armer Teufel. So aber
    bist du ein reicher Teufel, und bist ein Kerl,
    den man liebhat. Sieh, Luigi, ich denke oft
    wie du: unsere ganze Kunst ist bloß ein
    Ersatz, ein mühsamer und zehnmal zu
    teuer bezahlter Ersatz für versäumtes
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    Leben, versäumte Tierheit, versäumte
    Liebe. Aber es ist doch nicht so. Es ist ganz
    anders. Man überschätzt das Sinnliche,
    wenn man das Geistige nur als einen Not-
    ersatz für fehlendes Sinnliches ansieht. Das
    Sinnliche ist um kein Haar mehr wert als
    der Geist, so wenig wie umgekehrt. Es ist
    alles eins, es ist alles gleich gut. Ob du
    ein Weib umarmst oder ein Gedicht
    machst, ist dasselbe. Wenn nur die Haupt-
    sache da ist, die Liebe, das Brennen, das
    Ergriffensein, dann ist es einerlei, ob du
    Mönch auf dem Berge Athos bist oder
    Lebemann in Paris.«
    Louis blickte langsam aus den spöttischen
    Augen herüber. »Junge, brich dir man
    keene Verzierungen ab!«
    Mit der schönen Frau durchstreiften sie die
    Gegend.
    Im Sehen waren sie beide stark, das konn-
    ten sie. Im Umkreis der paar Städtchen und
    Dörfer sahen sie Rom, sahen Japan, sahen
    die Südsee, und zerstörten die Illusionen
    wieder mit spielendem Finger; ihre Laune
    zündete Sterne am Himmel an und löschte
    sie wieder aus. Durch die üppigen Nächte
    ließen sie ihre Leuchtkugeln steigen; die

    Welt war Seifenblase,
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