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Klingenfieber: Roman (German Edition)

Klingenfieber: Roman (German Edition)

Titel: Klingenfieber: Roman (German Edition)
Autoren: Tobias O. Meißner
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jung. Was man von seinem Gesicht unter dem verbeulten Helm erkennen konnte, war womöglich sogar hübsch zu nennen.
    Er wusste nicht, wo er sich befand. Er war von weither gekommen, als Teil eines kleinen Heeres, um die Schlacht zu schlagen. Er war in ihrem Inneren gewesen und wusste selbst nicht, warum er im Gegensatz zu den meisten seiner Kameraden noch am Leben war. Nun stand er da, mitten im Dorf, und blutete auf den Anger.
    Die Dörfler mieden ihn, machten Zeichen abergläubischer Abwehr. Ein altes Weib versuchte sogar, ihn mit einem Besen wegzufegen. Aber er stand, schwankte im Wind und stöhnte unendlich langsam. An seinen Eingeweiden fraß bereits sein Tod sich satt.
    Es gab in diesem Dorf eine junge Frau, die schon seit Längerem als eigenwillig verschrien war, weil sie mit den jungen Männern nichts zu schaffen haben wollte. »Die hält sich wohl für etwas Besseres«, keifte man hinter ihrem Rücken über sie. Aber ins Gesicht sagte ihr das niemand, die Dörfler hatten einen gesunden Respekt davor, dass Eigenwilligkeit auch eine gewisse Gefährlichkeit mit sich brachte.
    Diese junge Frau sah sich den Verwundeten sehr genau an.
    Sie ging um ihn herum, mehrmals, während er versuchte, sich auf den Beinen zu halten und sich an seinen Namen zu erinnern.
    Sie roch an ihm. Er roch furchtsam, aber auch störrisch.
    Dann nahm sie ihn bei der Hand und führte ihn in ihre Hütte. Dort legte sie ihn auf ein Lager, löste ihm behutsam den Helm, strich sein nasses Haar zurück, das heller war als das der Männer im Dorf und der ganzen Gegend, und kümmerte sich um ihn.
    Er lag im Sterben. Es war deutlich zu sehen. Seine Lippen waren weiß, seine Augen tränten, sein Atem ging kämpfend. Aber noch etwas anderes fiel ihr an ihm auf: Seine Männlichkeit war unter seinem ledernen Leibgurt zur vollsten Größe entfaltet. Ein letztes Aufbäumen vielleicht, dachte sie, vor dem unweigerlich nahenden Ende.
    Sie versuchte, diese Eigentümlichkeit so gut wie möglich aus ihren Gedanken zu verdrängen, während sie ihm Suppe machte und sie ihm löffelweise einflößte, während sie seine zahlreichen Wunden auswusch und das klaffende Fleisch vernähte, während sie seine heiße Stirn wieder und wieder vom Schweiß befreite.
    Wie wütend die Gegner auf ihn gewesen sein mussten, dass sie dermaßen auf ihn eingehackt hatten. Hatte er selbst denn zurückgehackt? Hatte er überhaupt Gelegenheit dazu gehabt? Hatte er verdient, dass er so lag, hatte er schlimme Dinge getan? Oder reichte es schon, die Farben einer Seite im Konflikt zu tragen, um von den Mannen der Gegenseite dafür so erbost in Stücke gehauen zu werden?
    Er kam ihr noch fast wie ein Kind vor, doch seine Männlichkeit wollte nicht weichen. Es war, als hätte sich das restliche noch verbliebene Blut seines Körpers dort verschanzt und verteidigte sich in einem Gefecht bis zum Tode.
    Umsichtig legte sie die Männlichkeit frei und wusch sie.
    Der Verwundete schloss die Augen und schien zu genießen. In all seinen Schmerzen mochte es noch so etwas wie einen Traum geben, eine Oase, in der etwas blühen konnte.
    Es war dunkel geworden.
    Sie waren allein.
    Das argwöhnische Geschnatter der Dörfler, die ihnen bis zu ihrer Tür gefolgt waren, war endlich versiegt.
    Es roch nach Blut. Nach Wunden. Nach Haut und Schweiß und Lebenwollen.
    Sie zog sich aus und setzte sich auf ihn. Ließ ihn ganz in sich hineinschlüpfen. Und bewegte sich auf ihm in langsamem Takt voller Schwere und Süße und Drängen und Weh, und bewegte sich, und wurde ein wenig schneller, und atmete heftiger und er ebenfalls. Dann spürte sie, wie er sein ganzes junges Leben in ihr verströmte.
    Sie stieg von ihm, legte sich an ihn und betrachtete ihn noch lange.
    Er schien eingeschlafen zu sein und wachte nie wieder auf. Kein Bäumen mehr, kein Wehren. Am nächsten Morgen war er tot, und er sah beinahe friedlich aus.
    Neun Monate später brachte sie eine Tochter zur Welt, eine Tochter, die dem Übriggebliebenen ähnlich zu sehen begann, als sie größer wurde. Mutter und Tochter wurden gemieden im Dorf aufgrund dieser blutigen, fremden Herkunft, und die Mutter lebte unter dem Spott und Gekeife der nachtragenden Weiber nicht mehr lang.
    Das Mädchen, dem sie den Namen Erenis gegeben hatte – Silben, die wie eine Sense hin und her durch Halme schnitten –, kam in die Hände von Gnadeneltern, bis zu jenem Tag, an dem der Kriegslehrer es fand.
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