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Klingenfieber: Roman (German Edition)

Klingenfieber: Roman (German Edition)

Titel: Klingenfieber: Roman (German Edition)
Autoren: Tobias O. Meißner
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gab so viel mehr zu tun, zu empfinden, zu erleben als das, was Erenis’ ganzes Dasein ausgemacht hatte. Er übte zwar noch mit dem Schwert, aber nur, um Elirou dadurch zu beeindrucken und ihr Gefühl von Sicherheit zu verstärken. Davon abgesehen jedoch kam es ihm albern vor. Man konnte reden, sich anfassen, sich kennenlernen, sich austauschen, voneinander lernen, einander zuhören, einander bereichern, Zärtlichkeiten austauschen, sich Vergnügen bereiten, miteinander essen, miteinander lachen. Sich zu töten sollte erst am Ende einer Reihe fehlgeschlagener andersartiger Versuche stehen, und nicht von vorneherein das Ziel und schon gar nicht eine Alltäglichkeit sein.
    Ihm war klar geworden, dass die Klingentänzerinnen im Grunde genommen Verrückte waren.
    Kein Wunder, dass Ladiglea in einer geschlossenen Verwahrung untergebracht war und Hektei wahrscheinlich zwischen ihren Kämpfen in einer Art Käfig gelebt hatte. Neeva diente weiterhin ihrem Lehrmeister wie eine unwiderruflich dressierte Hündin. Und Erenis war nur deshalb frei und unterwegs, weil sie ihre Fesseln mit Feuer durchgebrannt hatte. Mit einem Brandopfer. Aber was für eine Freiheit war das denn, die sie täglich zum Ermorden von möglichen und tatsächlichen Familienvätern trieb?
    Vielleicht konnten die Klingentänzerinnen nichts dafür. Vielleicht waren sie von Kindheit an von Ugon Fahus zu etwas Sinnlosem verformt worden. Aber verrückt und gefährlich waren sie nichtsdestotrotz. Stenrei war froh, dass dieser Teil seines Lebens jetzt hinter ihm lag.
    Was Elirou tat, ergab viel mehr Sinn.
    Einiges davon war schmutzig, gewöhnungsbedürftig, peinlich oder auch kurios. Aber alles diente der Freude, der Erleichterung und dem Umgang miteinander. Viele Kunden kamen wieder. Die weitaus meisten waren ausgesprochen zufrieden.
    Erenis hinterließ nichts außer Weinen und Wehklagen.
    Elirou dagegen erzeugte zufriedene Gesichter und reicherte redlich verdienten Wohlstand dabei an.
    Seine Schwertbesessenheit kam Stenrei jetzt im Nachhinein wie ein wütendes, sinnloses Fieber vor, das glücklicherweise ausgestanden war. Seine im Oval erhaltenen Verletzungen, die zu diesem Heilprozess das Ihrige beigetragen hatten, waren ebenfalls überwunden. Er fühlte sich, etwa zwei Wochen nach seiner Entlassung aus der Obhut der Tempelschwester, besser als jemals zuvor in seinem Leben.
    Dementsprechend erschrak er bis ins Mark, als eines Tages – Elirou war auf den Markt gegangen, und er war gerade dabei, ihre nasse Wäsche quer durchs Zimmer auf eine Leine zu hängen – Erenis in der Tür stand.
    Er sah sie erst gar nicht, wandte ihr den Rücken zu. Dennoch konnte er sie wahrnehmen. Über all den Düften und Verzierungen, mit denen Elirou und Elirous Tätigkeiten das Zimmer träufelten – der von Erenis ausströmende Geruch nach Leder und Hautzog ihn sofort wieder in seinen Bann, und plötzlich wusste er wieder, weshalb er ihr so lange auf ihrem Pfad der Martern gefolgt war. Er hatte gar nicht anders gekonnt.
    Langsam wandte er sich um.
    Sie sah abgekämpft und sandig aus, war aber immer noch die schönste Frau, der er je begegnet war.
    »Die Tempelschwester hat mir gesagt, wo ich dich finden kann«, erklärte sie nur. Sie schaute sich in dem Raum um. »Also bist du jetzt ein Mann?«
    Hilflos zuckte er die Achseln. »Ich versuche, mich um sie zu kümmern.«
    »Aber du schläfst mit ihr?«
    »Manchmal«, gab er kleinlaut zu. Leugnen war zwecklos angesichts ihrer Augen.
    »Und du hast dein Schwert noch?«
    »Ja.«
    »Dann nimm es und folge mir. Ich habe dich verschont, als du nur ein Junge warst, aber jetzt ist es an der Zeit, dass du lernst, die Verantwortung des Mannseins zu schultern.«
    Stenrei versuchte, im Raum Halt zu finden. Alle Winkel erschienen ihm plötzlich schief. »Erenis, du weißt ganz genau, dass ich dich nicht besiegen kann. Ich bin nicht der beste oder prahlendste Kämpfer dieses Ortes. Du hast mich nie unterrichtet.«
    »Doch. Du hast mir lange genug zugesehen und von mir gelernt. Komm jetzt.«
    Sie ging voran.
    Er fühlte sich wie einer, der dem Henker zugeführt wird. Aus heiterem Himmel noch dazu. Was hatte er denn verbrochen? Er hatte sich Elirou nie gegen ihren Willen genähert. Er hatte sich Erenis nie genähert, wie sehr er das auch gewollt hatte. Er hatte sich nie in den Vordergrund gedrängt. Nie behauptet, stärker oder besser zu sein als sie. Stets hatte er nur versucht, sein Bestes zu geben, sich nützlich zu machen, auf ihre Münzen
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