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Kleine Abschiede

Kleine Abschiede

Titel: Kleine Abschiede
Autoren: Anne Tyler
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getan?«
    »Also, vielleicht bei dem
Jungen aus der Christlichen Nächstenliebe — «
    »Wie bitte?«
    »Aber ich glaube, es war eher
Michael Garter«, sagte Courtney.
    »Der Name des Jungen in deiner
Nächstenliebe-Gruppe — «
    »Paul Cates. Aber der ist,
also, eine totale Niete. Also wenn Sie den sähen...«
    »Ich wette, es war garantiert
Michael Garter«, sagte Driscoll beruhigend.
    Courtney gönnte ihm ein
gnädiges Lächeln.
    »Na, egal«, sagte Delia, »du
erzählst Driscoll einfach alle Möglichkeiten, dann macht er den Richtigen schon
ausfindig.«
    »Und vielleicht könnte ich
mitkommen«, sagte Courtney. »Ich könnte dir zeigen, wo Michael Garter sein
Fußballtraining hat.«
    Jeder halbwegs vernünftige
Mensch hätte zuerst nach Paul Cates gesucht. In der Hoffnung, das deutlich zu
machen, zog Delia Driscoll eine Grimasse. »Hö?« sah er sie fragend an, und
dann: »Ach, also, spielt Paul Cates auch Fußball?«
    »Spinnst du?« fragte Courtney.
»Paul Cates? Fußball?«
    Delia machte Anstalten zu
gehen, rückte ihre Schultertasche zurecht. »Viel Erfolg«, sagte sie zu
Driscoll.
    »Was, Sie kommen nicht mit
uns?«
    »Das schafft ihr besser
allein.«
    Er öffnete den Mund, wollte
widersprechen, aber Courtney meinte: »War nett, Sie kennenzulernen!«
    Delia winkte und ging davon.
    Sie war froh, ein bißchen Zeit
für sich allein zu haben. War ihr Familienleben immer so pickepacke voll
gewesen? überlegte sie. Wie hatte sie dabei bloß ihre fünf Sinne zusammengehalten?
Doch dann fiel ihr ein, daß sie das auch gar nicht hatte, wenigstens nicht nach
Sams Ansicht.
    Als sie die Roland Avenue
hinunterging, kam sie am Reisebüro, der Handelsbank, an Eddies Supermarkt
vorbei. Sie hütete sich, die anderen Fußgänger anzusehen, sie hatte keine Lust
auf bekannte Gesichter. Angenommen, sie fragten sie aus, wo sie all die Monate
gesteckt hatte und was sie als nächstes vorhatte. Oder wenn ihr — auch eine
Möglichkeit — Adrian Bly-Brice über den Weg lief.
    Das Komische an der Sache war,
daß sie sich, so sehr sie es versuchte, Adrians Gesicht nicht mehr vorstellen
konnte.
     
    * * *
     
    »Delia«, flüsterte Linda an der
Haustür, »da ist jemand für dich.«
    »Für mich?«
    Delia fühlte, wie sie rot
wurde, doch Linda sagte: »Ein älterer Herr. Namens Nat?«
    »Oh«, sagte Delia.
    Sie folgte Linda durchs
Eßzimmer und in die Küche. Nat saß mit Susie und den Zwillingen am Tisch, doch
als Delia eintrat, stand er auf. »Da ist sie ja!« sagte er.
    Außerhalb Senior City wirkte er
älter. Sein Haar war so weiß, es glitzerte, und er stützte sich schwerfällig
auf seinen Stock. Es war also einer seiner Rückblende-Tage. Sie sagte: »Nat?
Ist alles in Ordnung?«
    »Oh, ja«, sagte er, »ganz in
Ordnung. Hallo, meine Liebe.« Er küßte ihr galant die Wange; sein Bart kitzelte.
»Ich habe nur eine kleine Spritztour gemacht«, sagte er. »Dachte, ich frage
mal, ob du Lust hast, mit zurückzufahren.«
    »Eine Spritztour, nach
Baltimore?«
    »Na ja, so in der Gegend.«
    Eigentlich rätselhaft, doch sie
beließ es dabei. »Das ist nett von dir«, sagte sie, »aber ich weiß noch nicht,
wann ich wieder fahre.« Sie warf Susie, die sie über ihren Kaffeebecher hinweg
beobachtete, einen Blick zu. »Driscoll ist immer noch mit der Telefonsache
beschäftigt«, sagte Delia zu ihr.
    Die Zwillinge schubsten sich
gegenseitig. Nat sagte: »Oh, ich bin bestens informiert! Deine Schwester hat
mir die ganze Geschichte erzählt. Also, wie läuft es? Haben wir den glücklosen
jungen Mann ausfindig gemacht?«
    »Nun, ja, wir sind der Sache
nähergekommen«, sagte Delia. »Nat, stimmt was nicht zu Hause?«
    »Stimmt was nicht! Warum fragst
du das die ganze Zeit?« sagte er. »Kann ein Mann heutzutage nicht mal mehr eine
kleine Ausfahrt machen?«
    Linda stellte einen
Kaffeebecher vor ihn auf den Tisch, und mit einem Ruck rutschte er auf seinem
Stuhl zurück. »Danke, meine Liebe«, sagte er. Er stellte seinen Stock ab. Er
stand vorwitzig, ganz allein, auf seinen vier kleinen Beinen.
    »Sahne?« fragte Linda.
»Zucker?«
    »Danke, einfach schwarz.« Zu
Delia gewandt, sagte er: »Du hast nie erzählt, daß du eine Schwester hast. Und
solch eine reizende Tochter. Und zwei großartige Nichten!«
    Seine Begeisterung hatte etwas
Angespanntes, doch den anderen fiel es nicht auf. »Sie hat nicht nur eine
Tochter«, erklärte ihm Marie-Claire. »Sie hat außerdem zwei Jungen.«
    »Zwei Jungen!« staunte Nat. »Wo
hat sie die denn
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