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Kleine Abschiede

Kleine Abschiede

Titel: Kleine Abschiede
Autoren: Anne Tyler
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kaum die Füße hoch und beschweren sich, ich hätte
jemand anderen mitnehmen sollen.«
    »Mir ist kalt, mehr nicht«,
erwiderte Delia.
    »Wenn Sie’s genau wissen
wollen, meine gesamte Familie findet, ich wäre allein besser dran.«
    Das versetzte Delia einen
Stich. Sie sagte: »Na, vielen Dank!«
    »Oh, sie mögen Susie schon«, sagte
er. »Aber, wissen Sie... ›Warum unbedingt eine Grinstead?‹ fragt meine Mutter
andauernd.«
    »Passen wir Grinsteads ihr etwa
nicht?«
    »Doch, nein, also...« Sein
Blick verfolgte eine Gruppe Schülerinnen, die vorbeikamen. »Geben Sie’s zu«,
sagte er, »Sie sind alle so... Sie machen immer alles anders. Sie verkehren
nicht mit jedem, Sie machen nicht überall mit, Sie glucken beieinander; und
dann behaupten Sie, das sei normal. Sie behaupten, alles sei ganz
normal; Sie sind immer auf der Hut und schwer durchschaubar; Sie verdrängen
immer alles; erklären nie etwas.«
    Delia atmete tief durch. Er
hätte viel schlimmere Fehler anführen können, fand sie, wenn ihr auch nicht
klar war, welche. »Na, ja«, sagte sie, »für mich sind das eher gute als
schlechte Eigenschaften.«
    »Sehen Sie?« schimpfte
Driscoll. »Genau das meine ich!«
    »Faß dich an deine eigene
Nase!« sagte Delia. »Du bekommst einen Korb, und dann tauchst du zur Hochzeit
auf, als sei nichts geschehen! Wenn das nicht verdrängen ist!«
    »Immerhin habe ich nicht so getan,
als sei ich nur zu Gast«, gab Driscoll zurück. »In letzter Minute antanzen wie
eine entfernte Bekannte der Braut.«
    »Ich wäre bestimmt früher
gekommen! Aber niemand hat mich gebeten!« erwiderte sie.
    »Sehen Sie, schon wieder!«
    »Was: schon wieder?«
    Ein Wagen hielt am Bordstein,
ein Kombi, drinnen drängten sich Köpfe. Ein Mädchen, den Arm voll Bücher, stieg
aus. »Danke!« rief sie, und der Wagen hupte und fuhr davon.
    »Courtney?« fragte Driscoll.
    Das Mädchen hielt auf dem
Gehweg inne. Delia war aus unerfindlichen Gründen klargewesen, daß Courtney
eine Blondine sein mußte. Sie war groß und schlank, ihre Haut golden braun, und
ihre Kleidung war gekonnt lässig — der Blazer maßgeschneidert, dazu rutschende
Kniestrümpfe. »Ja?« sagte sie.
    »Ich bin Driscoll Avery«, sagte
Driscoll, »und vor ein paar Abenden habe ich einen Telefonanruf angenommen, der
eigentlich für dich war.«
    Courtney hielt den Kopf schräg.
Ihr Bubikopf schwang hübsch seitwärts.
    »Ein Junge rief an, hatte sich
verwählt«, erklärte Driscoll, »und jetzt ist meine Verlobte sauer auf mich,
weil ich, hm, vielleicht ein kleines bißchen gemein zu ihm war. Deshalb muß ich
unbedingt von dir wissen, wer der Anrufer war.«
    Courtney sah zu Delia hin.
    »Ich bin die Mutter seiner
Verlobten«, erklärte Delia. Unter einer ›Verlobten‹ stellte sie sich eigentlich
jemanden mit einem Pillbox-Hütchen vor; alles andere als Susie. Wahrscheinlich
machte sie ein dermaßen ahnungsloses, kulleräugiges Gesicht, als erzählte sie
das Blaue vom Himmel. Sie erklärte: »Driscoll sagt die Wahrheit, ich schwöre
es. Ein Junge hat angerufen und nach dir gefragt, und Driscoll meinte, du
wolltest ihn nicht sprechen.«
    »Das hast du gesagt?« fragte
Courtney Driscoll. Sie lächelte nicht mehr. »Und wenn das jemand war, auf
dessen Anruf ich schon ewig warte?«
    »Wer denn?« fragte Driscoll.
»Ich meine, gibt’s so jemanden?«
    »Michael Garter.«
    »Hast du Michael Garter deine
Nummer gegeben?«
    »Nein, aber sie steht im
Telefonbuch.«
    »Meinst du, er hat dich
angerufen?«
    »Also, vielleicht. Schon
möglich. Na, klar!« Die Vorstellung gefiel ihr offenbar. »In ein paar Wochen
gibt es diesen Ball«, sagte sie zu Delia.
    Delia sagte: »Aber deine Nummer
hast du ihm nicht gegeben.«
    »Nicht direkt.«
    »Wir glauben, es war jemand,
dem du sie gegeben hast.«
    »Nein, aber es gibt diesen großen
Ball zum Schulanfang! Und Michael Garter ist ein Junge, den ich kenne. Er ist
der Zweitstärkste von seiner Schule.«
    »Aber — «, begann Delia, doch
Driscoll sagte gleichzeitig: »Na, toll! Los!«
    »Aber hast du sie jemandem
gegeben?« fragte Delia.
    »Mama mia, irgendein Junge will
immer meine Nummer. Verstehen Sie? Und ich gebe sie ihm, na, aus lauter
Nettigkeit. Ausgehen würde ich sowieso mit keinem.«
    »Gibst du ihnen manchmal auch
die falsche Nummer?« beharrte Delia.
    »Na, klar, wenn einer wirklich
total uninteressant ist.«
    »Verdrehst du dann nur ein
bißchen die Zahlen, zum Beispiel?«
    »Schon möglich.«
    »Hast du das kürzlich
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