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Kleine Abschiede

Kleine Abschiede

Titel: Kleine Abschiede
Autoren: Anne Tyler
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versteckt.«
    »Also Carroll versteckt sich
oben, weil er Krach mit seinem Vater hat. Und Ramsay wohnt bei seiner schäbigen
Freundin, die Adresse wissen wir nicht.«
    Nat warf Delia einen fragenden Blick
zu. »Ja«, bestätigte sie lachend. »Du mußt uns leider entschuldigen. Hier
gibt’s zur Zeit diverse Personen, die nicht gut aufeinander zu sprechen sind.«
    »Aber sie sprechen doch
durchaus, finde ich«, entgegnete er.
    »Na ja, sie reden. Aber...«
    Sie gab auf und ging sich einen
Kaffee eingießen. Nat fragte weiter die Zwillinge aus. »Und wohnt ihr alle in
diesem großen Haus? Ich meine, alle außer Ramsay und seiner schäbigen
Freundin?«
    »Oh, nein, keiner von uns wohnt
hier! Nur Onkel Sam.«
    »Onkel Sam! Das Haus gehört
doch nicht dem Staat!«
    Die Zwillinge juchzten. Thérèse
sagte: »Unsinn! Onkel Sam ist Tante Délias Mann.«
    Delia spürte, wie Nat in ihre
Richtung sah, aber sie drehte sich nicht um, und die Zwillinge schwenkten zum
Thema Eliza über. »Sie verbrennt Kräuter in kleinen Schalen«, sagte
Marie-Claire. »Sie besitzt auch eine Flasche, auf der steht: ›Geduld‹, daran
riecht sie, wenn sie die Nase voll hat.«
    »Kann man die kaufen? Die
könnte ich gut gebrauchen«, sagte Nat wehmütig.
    Delia wollte einen Löffel aus
der Besteckschublade holen, und mit einemmal stand Susie vor ihr, wartete,
einen beturnschuhten Fuß über den anderen geschlagen. Delia ließ sich von ihrer
lässigen Haltung keine Sekunde täuschen.
    »So«, sagte Susie. »Driscoll
hat also Courtney abgefangen, oder?«
    »Ja.«
    »Und eingekreist, wer der Junge
war, hast du gesagt.«
    »Nun ja, Courtney hat ihm
mehrere Möglichkeiten genannt.«
    »Also, nehme ich an, redet er
jetzt mit ihnen.«
    »Er bemüht sich«, sagte Delia.
    Sie griff nach der Schublade,
und Susie glitt den Bruchteil eines Zentimeters zur Seite. »Scheint mir, du
bist also mit ihm gegangen«, sagte Susie.
    »Wie du siehst, bin ich hier«,
konterte Delia.
    Sie ging davon aus, daß Susie
Driscoll liebte; in dem Fall, also gut, sollten sie ruhig heiraten. Wie leichtgläubig
Delia gewesen war, zu glauben, sie hätten ernsthaft Schluß gemacht! Und wie
weise, reif und praktisch schien Susie im Vergleich dazu! Delia lächelte sie
strahlend an. Susie betrachtete sie wachsam.
    Es hieß immer, Mütter besäßen
instinktiv die Fähigkeit, die Gedanken ihrer Kinder zu lesen, aber eigentlich
war das nichts verglichen mit den Fähigkeiten der Kinder, die geheimsten
Gedanken ihrer Mütter zu lesen.
    Die Zwillinge beschrieben ihre
Brautjungfernkleider. »Schleifen, so groß, daß sie wippen — «
    »Puffärmel — «
    »Genau die gleiche Farbe wie
Crest-Fluor-Zahnpasta.«
    »Die müssen ja toll aussehen«,
bestätigte Nat. »Und wann wollt ihr sie tragen?«
    »Vielleicht heute abend«, sagte
Marie-Claire, während Susie ihr ins Wort fiel: »Morgen.«
    Alle sahen sie an. Sie
erwiderte trotzig Delias Blick. »Also, ich meine, wenn Driscoll mir diesen
Jungen bringt.«
    »Aber das kann schon in den
nächsten fünf Minuten sein!« warf Linda ein. »Du könntest heute abend heiraten,
wenn er sich beeilt.«
    »Ja, aber Dr. Soames kann uns
erst morgen vormittag um zehn drannehmen.«
    »Das hat er dir gesagt?« fragte
Delia. »Du hast mit ihm gesprochen? Wann?«
    »Oh, erst vor kurzem.«
    »Aber unser Rückflug ist morgen
mittag«, sagte Linda, »und die Fahrt zum Flughafen dauert, na...«
    Nat meinte zu Delia: »Das hört
sich nicht so an, als ob du heute abend mit mir zurückfährst.«
    Er klang ausgesprochen munter,
doch Delia wurde das Gefühl nicht los, irgend etwas bedrückte ihn. Sie warf
einen Blick auf die restliche Familie, die den Zeitplan diskutierte, und dann
sagte sie: »Nat, warum bist du hierher gekommen? Ich meine, der eigentliche
Grund.«
    »Nichts, habe ich doch gesagt!«
    »Du bist doch nicht einfach so
zwei Stunden gefahren.«
    »Zweieinhalb, genauer gesagt«,
erwiderte er. »Kleiner Stau an der Brücke.«
    Sie schaute ihn prüfend an.
»Wie geht’s dem Baby?« fragte sie.
    »Wächst, blüht und gedeiht.«
    »Und Binky?«
    »Gesund und munter.«
    »Weiß sie, daß du in Baltimore
bist?«
    »Ich habe sie eben angerufen.
Deine Schwester hat mir erlaubt, euer Telefon zu benutzen.«
    »Und Noah ist erkältet, habe
ich gehört«, sagte sie forschend.
    »Kaum der Rede wert«, beruhigte
Nat sie. »Ich habe heute morgen nach ihm gesehen. Da spielte er Tetris.
Jedenfalls ganz und gar nichts Ernstes, würde ich sagen.«
    »Stimmt, er klang nicht
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