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Kleine Abschiede

Kleine Abschiede

Titel: Kleine Abschiede
Autoren: Anne Tyler
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vermodert.
    »Du solltest dir das nicht von
ihm gefallen lassen«, sagte Linda. »Wirf ihn raus! Sag, er soll seine Sachen
packen und verschwinden. Das hier ist unser Haus, nicht Sams. Wenn hier einer
wohnen sollte, dann du!«
    Darüber mußte Delia lachen.
»Wirklich? Von welchem Geld?« fragte sie. »Wenn Sam nicht wäre, hätten wir das
Haus schon lange nicht mehr. Wer, meinst du, zahlt die Grundsteuer? Wer
unterhält das Haus und zahlt die ganze Renovierung?«
    »Also, wenn du das Renovieren
nennst, restlos sämtliche Büsche auszureißen«, Linda schniefte. »Ich finde es
anmaßend! Und weißt du, daß er vorhat, die Fensterläden rot zu streichen?«
    »Rot?«
    »Knallrot wie ein
Feuerwehrauto, hat Eliza erzählt. Obwohl sie sagt, in letzter Zeit hat er seine
Pläne zurückgesteckt. Aber stell dir das vor! Rote Fensterläden! Wie ein
uralter Mann mit gefärbten Haaren! Auffällig, daß er damit erst nach seinem
Herzinfarkt angefangen hat.«
    »Angina pectoris«, verbesserte
Delia mechanisch.
    Susie marschierte herein, trug
Jeans und einen dunkelblauen Pullover von Carroll. »Wann gibt’s Mittagessen?«
fragte sie Delia.
    »Mittagessen! Also...«
    »Er ist ein Goldgräber, genau
das ist er«, sagte Linda. »Kaum hatte Vater ihn angestellt, hatte er ein Auge
auf dich geworfen.«
    »Wer?« fragte Susie.
    »Sam Grinstead, wer sonst? Er
hatte sich schon in den Kopf gesetzt, deine Mutter zu heiraten, bevor er auch
nur einen Blick auf sie geworfen hatte.«
    »Tatsächlich?«
    »Oh, Linda«, sagte Delia, »wenn
du ehrlich bist, dann hatte ich mir diese Heirat genauso in den Kopf gesetzt.
Ich hockte schmachtend hinter meinem Schreibtisch und hoffte, daß einer
hereinkäme und mich rettete.«
    »Rettete wovor?« fragte Susie.
    Darauf ging Delia nicht ein.
»Sieh dir unsere Großmutter an«, sagte sie zu Linda. »Die heiratete Isaiah,
weil sie Angst vor Tb hatte. Und was ist mit dem braven Sohn des Holzfällers, der
die Prinzessin wegen ihres Königreichs wollte!«
    »Wer war Tb?« wollte Susie
wissen. »Was für ein Holzfäller? Worüber redet ihr beiden eigentlich?«
    Linda ging zu Susie und legte
ihr plumpvertraulich den Arm um die Schulter, so daß Delia sich ausgeschlossen
fühlte. »Wenn deine Mutter nur halb soviel Grips hätte wie du«, meinte sie zu
Susie, »würde sie deinen Vater rauswerfen, sich eine Stelle suchen und wieder
nach Baltimore ziehen.«
    »Ich habe bereits eine Stelle«,
sagte Delia. »Ich habe ein ganzes Leben, an einem anderen Ort!«
    Und Bay Borough schwebte wie
eine winzige leuchtende, dichtbevölkerte blaue Seifenblase vorbei, so verhüllt
und verschwommen aus dieser Entfernung. War alles nur ein Traum gewesen?
     
    * * *
     
    »Ich stelle mir das so vor«,
erklärte Driscoll Delia. »Wenn Courtney hört, daß jemand angerufen hat, weiß
sie gleich, das muß dieser Typ sein, dem sie ihre Nummer gegeben hat. Ich
meine, er hat bei euch zu Hause dreimal angerufen. Also hat er die Nummer
garantiert nicht aus dem Telefonbuch; er hatte sie sich falsch aufgeschrieben.
Was meinen Sie?«
    »Kann schon sein«, sagte Delia.
Höchstwahrscheinlich war es so, aber sie brachte die Energie nicht auf, es zu
sagen. Seit einer Dreiviertelstunde standen sie hier draußen in der Kälte. Ab
und zu warf sie einen sehnsuchtsvollen Blick nach hinten auf Courtneys
weißgeschindeltes Zuhause; sie hatten schon an der Tür geläutet, doch niemand
hatte geöffnet. »Driscoll«, sagte sie, »hast du daran gedacht, daß Courtney
nach der Schule vielleicht noch Sport hat? Ich meine, Susie ist an manchen
Tagen erst im Dunkeln nach Hause gekommen.«
    »Dann warten wir hier, bis es
dunkel ist«, sagte er.
    Andere Schüler kamen vorbei —
Jungen aus der Gilman-Schule in Oberhemden und Krawatten, junge Mädchen in
Bryn-Mawr-Meerblau oder Roland-Park-Schul-Blau. »Wir sollten ein Schild
hochhalten«, sagte Delia, »wie auf dem Flughafen.«
    Driscoll sah sie beleidigt an.
    »Hättest du nicht genausogut
Pearce mitnehmen können?« fragte Delia.
    »Wer ist Pearce?«
    »Deine Schwester, um Himmels
willen!«
    »Meinen Sie Spence?«
    »Spence. Verzeihung.«
    Sie mußte lachen. Er war noch
mehr beleidigt.
    »Spence arbeitet«, erklärte er.
»Ich bezweifle aber, ob sie mitgekommen wäre. Sie findet, ich sollte nicht
heiraten.«
    »Aha!«
    »Ist das so eine Überraschung?«
fragte er. »Sie sind nicht die einzige, die dagegen ist.«
    »Habe ich gesagt, daß ich
dagegen bin?«
    »Jedenfalls benehmen Sie sich
so. Kriegen den ganzen Weg
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