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Klebstoff

Klebstoff

Titel: Klebstoff
Autoren: Irvine Welsh
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Stütze ihres Vaters George, dem die Port Sunshine Tavern gehörte und der an Krebs litt? Nicht mehr lange, und Paula würde alle Hilfe brauchen, die sie kriegen konnte, um diese harten Zeiten durchzustehen. Henry würde ihr Fels in der Brandung sein.
    Auch sein eigener Name war wiederholt in den Dreck gezogen worden, aber Henry war gnädigerweise bereit zu akzeptieren, dass Menschen in emotional angespannten Zeiten Dinge sagen, die sie nicht so meinen. Tat ihm das Scheitern ihrer Beziehung nicht genauso weh? War es nicht für ihn sogar schwerer, wo er doch die Kinder zurücklassen musste? Henry sah zu ihnen hinüber, ließ seine Augen feucht werden und schluckte, als sei seine Kehle zugeschnürt. Er hoffte, Alice würde diese Geste mitbekommen und es wäre damit getan.
    Anscheinend war es das. Er hörte gurgelnde Geräusche, wie vom Fluss unten, überlegte er, und er fühlte sich bewogen, den Arm um ihre zuckenden Schultern zu legen.
    – Bitte geh nicht, Henry, bettelte sie bebend, während sie den Kopf an seine Brust presste und ihr der Geruch von Old Spice in die Nase stieg, nach dem sein Käsereiben-Kinn noch immer duftete. Was bei anderen ein Dreitagebart war, bekam Henry schon nach dem Mittagessen; er musste sich mindestens zweimal täglich rasieren.
    – Na, na, gurrte Henry. – Mach dir ma keine Sorgen. Wir ham doch die Kinder, du und ich, lächelte er, streckte die Hand aus, zerzauste Klein-Terrys Lockenkopf und dachte dabei, Alice sollte öfter mit dem Jungen zum Friseur gehen. Der sah ja aus wie Shirley Temple. Nachher wurde der Bengel noch andersrum, wenn er groß war.
    – Du hast dich ja nich mal erkundigt, wie er in der Schule zurechtgekommen ist. Alice richtete sich wieder auf, voll frischer Verbitterung, als sie sich darauf besann, was vorging.
    – Du hast mir ja keine Gelegenheit dazu gegeben, erwiderte Henry mit gereizter Ungeduld. Paula wartete. Wartete auf seine Küsse, auf den tröstenden Arm, der gerade um Alices Schultern lag. Die heulende, verquollene, ausgeleierte Alice. Welch ein Kontrast zu Paulas jugendlichem Körper – straff, geschmeidig, noch nicht vom Kinderkriegen gezeichnet. Wirklich gar kein Vergleich.
    Indem sie von seinen Worten, seinem Geruch und seinem starken Arm abzusehen versuchte und nur daran dachte, was tatsächlich vorging, und den Schmerz hart und unerbittlich in ihrer Brust pochen ließ, gelang es Alice, ihn anzuschnauzen: – Er wollte gar nicht mehr aufhören zu weinen. Er hat sich die Augen aus dem Kopf geheult.
    Das ärgerte Henry. Terry war älter als die anderen in seiner Klasse, weil er durch seine Meningitis ein Jahr versäumt hatte. In dem Alter heulte man doch nicht mehr. Das war Alice ihre Schuld, die verpimpelte ihn, behandelte ihn bloß wegen seiner Krankheit immer noch wie ein Baby. Dem Jungen fehlte jetzt doch gar nichts mehr. Henry war kurz davor, etwas über Terrys Haare zu sagen, sie lasse ihn rumlaufen wie ein kleines Mädchen, also was erwartete sie denn dann von ihm? Aber Alice starrte ihn jetzt mit anklagend funkelnden Augen an. Henry schaute weg. Sie starrte auf seine Kinnpartie, seinen starken Bartwuchs, und ertappte sich dabei, wie sie Terry ansah.
    Der Kleine war noch vor achtzehn Monaten so krank gewesen. Er hatte es fast nicht überlebt. Und jetzt ließ Henry sie sitzen, ließ sie sitzen wegen der: diesem dreckigen, kleinen Flittchen.
    Sie ließ die grausame Erkenntnis einfach in ihrem Brustkorb hämmern und versuchte nicht, ihr auszuweichen oder sich dagegen zu wappnen.
    DONG
    Immer noch kerzengerade und stolz, fühlte Alice, wie sein Arm um ihre Schultern schlaff wurde. Der nächste Schwall quälender Übelkeit würde schon weniger schlimm sein als dieser
    DONG
    Wann würde das aufhören, wann würde dieser Alptraum enden, wann wäre sie, wären sie irgendwo anders
    DONG
    Er ließ sie sitzen wegen der.
    Und dann war der Anker seines Arms verschwunden, und Alice ging in der Leere um sie herum unter. Aus den Augenwinkeln sah sie, wie er Yvonne durch die Luft wirbelte, die Kinder dann um sich sammelte und mit ihnen die Köpfe zusammensteckte, um ihnen wichtige, aber aufmunternde Instruktionen zuzuflüstern, wie ein Fußballtrainer, der seine Spieler in der Halbzeit neu motiviert.
    – Euer Daddy hat einen neuen Job und wird jetzt viel weg sein. Seht ihr, wie traurig Mum ist? Henry sah nicht, wie Alice erst kerzengerade dasaß und dann bei seinen Worten resigniert zusammensackte, als habe man ihr in den Magen getreten.
    – Das heißt, ihr
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