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Klassentreffen

Titel: Klassentreffen
Autoren: S Vlugt
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Warum traust du mir nicht?«
    Als er sich eine Sekunde abwendet, spurte ich zur Wohnungstür, reiße sie auf und habe schon einen Fuß im Treppenhaus, da werde ich an den Haaren zurückgezerrt. Ich verliere das Gleichgewicht und falle rücklings auf den Boden. Bevor ich mich aufrappeln kann, hat Olaf die Tür bereits mit dem Fuß zugestoßen und sitzt auf mir, die Beine zu beiden Seiten meines Körpers. Er legt die Hände um meinen
Hals, drückt aber nicht zu. Ich starre ihn nur an, kann unmöglich glauben, dass er das wirklich tun wird. Olaf beugt sich über mich.
    »So also, glaubst du, ist es gelaufen«, sagt er mit rauer Stimme. »Dass ich sie umgebracht hab, weil sie mich fallen ließ. Dass sie Schluss gemacht hat, stimmt. Und wir waren auch im Wald, ja. Und ich hatte eine Wut auf sie, und sie ist davongerannt. Aber ich bin ihr nicht nach. Ich hab sie nicht umgebracht.«
    Im Dunkeln ist er nur noch eine Gestalt mit einer Stimme, die ich nicht kenne. Eine Gestalt mit Händen, die jetzt Druck auf meine Kehle ausüben.
    »Es tut weh, wenn einen jemand, den man liebt, nicht mehr will. Ich liebe dich, das weißt du. Oder ich hab dich geliebt, sollte ich wohl besser sagen. Warum guckst du so ängstlich? Glaubst du immer noch, ich wäre zu so was fähig? Vielleicht hast du ja Recht. Vielleicht lüg ich dich nach Strich und Faden an. Probieren wir’s doch einfach mal aus, Sabine. Mal sehen, wo meine Grenzen liegen.«
    Sein heiseres Flüstern durchdringt jede Faser meines Körpers, alarmiert mich. Ich erwache aus einer Art Betäubung und versuche mich freizukämpfen. Ich packe seine Hände, um sie wegzuzerren. Olaf lacht leise. Er drückt auf meinen Kehlkopf. Es tut furchtbar weh. Mit weit aufgerissenen Augen starre ich ihn an, meine Hände noch um seine.
    »Bitte …«, ächze ich.
    »Es ist ganz einfach«, flüstert er. »Das geht ganz schnell. Dauert allenfalls eine Minute. Ob sich Isabel gewehrt hat? Ich weiß es nicht. Ich war ja nicht dabei, woher soll ich das also wissen? Aber du, liebe Sabine, du warst dabei. Sag, hat es lange gedauert? Du hast es gesehen. Warum sagst du der Polizei nicht, was du sonst noch gesehen hast, wie der wirkliche
Täter aussah? Warum streikt da dein Gedächtnis? Hast du dir das jemals überlegt?«
    Seine Daumen drücken fest auf meinen Kehlkopf. Es ist nicht der Sauerstoffmangel, der das Erwürgen so qualvoll macht, es ist der Schmerz an der Luftröhre.
    Als die Schmerzen unerträglich werden, macht irgendetwas klick! in meinem Kopf, und plötzlich ist ein Bild da, das ich lange verdrängt hatte. Das Bewusstsein hinkt eine halbe Sekunde hinter der Realität her. Meine Haut prickelt, das Herz rast – daran merke ich, dass ich begriffen habe. Dass sich alle Puzzleteile vor meinem inneren Auge zusammenfügen.
    Trotzdem dauert es noch eine Weile, bis mir alles richtig klar ist. Entgeistert reiße ich die Augen auf und starre Olaf an. Er lacht grimmig.
    Ich fahre die Nägel aus und zerkratze ihm das Gesicht. Ich trete, trommle mit den Fäusten auf seinen Rücken, und als auch das nichts hilft, will ich ihm die Finger in die Augen stoßen. Er kniet sich auf meine Arme, und ich bin hilflos.
    Aber er drückt nicht weiter zu. Seine Hände liegen fest um meinen Hals, und ich bekomme gerade noch genug Luft, dass ich nicht das Bewusstsein verliere. Ich höre seinen keuchenden Atem, rieche alten Schweiß und Zigarettenrauch.
    »Ich war’s nicht«, sagt er direkt vor meinem Gesicht. »Wir wissen beide, dass ich es nicht war, stimmt’s, Sabine?«
    Ich bringe ein Gurgeln hervor. Der Druck auf meine Kehle lässt ein wenig nach.
    »Na, Sabine? Sei endlich mal ehrlich zu dir selbst. Es hat keinen Sinn, noch länger Versteck zu spielen. Das alles hast du die ganze Zeit gewusst.«
    Es gelingt mir zu nicken, und plötzlich kann ich wieder richtig Luft holen.

    »Sie können mir nichts beweisen.« Olafs Gesicht kommt ganz nahe. Ich rieche erst seinen Atem, dann spüre ich seinen feuchten Mund auf meinem. »Es gibt keinen Beweis, nicht nach neun Jahren. Jeder kann es gewesen sein. Alles, was wir haben, sind deine Erinnerungen. Und woran erinnerst du dich, Sabine? Weißt du noch, dass du gesehen hast, wie ich mit Isabel in den Wald gegangen bin?«
    »Ja«, flüstere ich, meine Lippen auf seinen.
    »Ich hab dich nämlich dort gesehen, aber das weißt du nicht, was? Nein, nicht gleich. Später erst, nach dem Streit, als ich wütend weggelaufen bin. Du hast mit deinem Rad hinter einem Baum gestanden, ein
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