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Klassentreffen

Titel: Klassentreffen
Autoren: S Vlugt
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Kälte mit sich gebracht. Das gibt mir Gelegenheit, eine Jacke mit passendem Schal zu tragen, der die Würgemale am Hals verdeckt.
    Wieder fahre ich nach Den Helder, und diesmal erwartet mich Rolf Hartog bereits. Ich werde freundlich empfangen, bekomme Kaffee und Sirupwaffeln. Er erkundigt sich nach meinem Befinden, dann geht es zur Sache. Im selben Raum wie letztes Mal legt er Mappen voller Fotos vor mich hin.
    »Sehen Sie die in aller Ruhe durch«, meint er. »Nehmen Sie sich Zeit.«
    Ich klappe die erste Mappe auf und sehe lauter unbekannte Gesichter, alle mit der gleichen Verbrechervisage. »Sind die alle verurteilt worden?«, frage ich beim Blättern.
    »Ja.«
    »Dann muss er nicht unbedingt dabei sein, oder?«, sage ich.
    »Nein, aber wenn Isabels Mörder kein Bekannter von ihr war, besteht die Möglichkeit, dass er sich schon früher solche Vergehen hat zuschulden kommen lassen.« Hartog holt mir noch einen Becher Kaffee. Dann stellt er sich mit dem Rücken zu mir ans Fenster und raucht eine Zigarette.

    Ich tue, als wäre er nicht da, und betrachte die Fotos in aller Ruhe. Dunkelhaarige Männer, blonde Männer, Frauen, jung und alt, hübsch und hässlich – die Gesichter ziehen an mir vorbei. Als ich die Hoffnung schon aufgeben will, halte ich mit Blättern inne und ziehe scharf die Luft ein.
    Sofort dreht sich Hartog um und sieht mich unverwandt an.
    »Der Mann hier«, sage ich und deute auf das Foto rechts in der Ecke. »Der war’s. Blond, schmales Gesicht …«
    Hartog drückt seine Zigarette im Aschenbecher aus und stellt sich neben mich. Er betrachtet das Foto, auf das ich deute. Es steht nichts weiter dabei.
    »Sind Sie ganz sicher?«, fragt er.
    Ich nicke. »Dieses Gesicht habe ich gesehen. Diese tiefen Falten zwischen Nase und Mundwinkeln … Ja, ich bin mir ganz sicher. Er ist es.«
    Hartog schaut das Foto lange nachdenklich an. »Sjaak van Vliet«, murmelt er schließlich.
    Ich nicke. »Er muss sich da rumgetrieben haben. Wahrscheinlich hat er den Streit zwischen Olaf und Isabel mitbekommen und ist Isabel gefolgt, als sie davonlief, in den Wald hinein.«
    »Ist Olaf van Oirschot ihr auch gefolgt?«, fragt Hartog.
    Ich schüttle den Kopf. »Erst sah es so aus, aber dann schrie er ihr nur etwas nach, drehte sich um und ging. Ich erinnere mich, dass ich mein Rad weiter ins Gebüsch geschoben habe, weil er ganz nah an mir vorbeiging.«
    »Und dann sind Sie hinter Isabel hergegangen?«
    »Ja, ich hab mein Rad fallen lassen und bin ihr nach.«
    »Warum?«
    »Weil ich mir Sorgen gemacht habe, ist doch logisch«, sage ich.
    Hartog macht eine Miene, als denke er sich seinen Teil. »Ich weiß nicht recht«, sagt er. »Ist das logisch? Sie waren doch nicht mehr befreundet, oder?«
    »Aber früher waren wir es«, sage ich.
    Wortlos betrachtet Hartog das Foto von Sjaak van Vliet.
    »Er ist der Polizei gut bekannt, stimmt’s?«, frage ich.
    Hartog nickt. »Nicht nur der Polizei«, sagt er. »Auch der breiten Öffentlichkeit. Sein Foto ist oft gezeigt worden. Bestimmt haben Sie es auch schon mal gesehen.«
    Das kann ich kaum leugnen, also nicke ich.
    »Sittlichkeitsdelikte, Vergewaltigungsversuche … ja, er hat ganz schön was auf dem Kerbholz. Vor ein paar Jahren ist er wegen Mordes an Rosalie Moosdijk verhaftet worden, zwei Jahre, nachdem Isabel Hartman verschwunden ist, allerdings hat er immer geleugnet, etwas mit Isabels Verschwinden zu tun zu haben.«
    Ich nicke wieder.
    »Mir ist unverständlich, dass Sie ihn nicht wiedererkannt haben, als Sie sein Foto im Fernsehen sahen«, sagt Hartog mit gerunzelter Stirn.
    »Bekannt kam er mir schon vor«, sage ich. »Aber ich dachte, das käme daher, dass sein Bild so oft in den Medien war. Mir war nicht klar, dass ich ihn selbst gesehen hatte.«
    Hartog nimmt das Foto aus der Mappe, legt es auf den Schreibtisch, setzt sich und sieht mich lange an. Ich erwidere den Blick und hüte mich, als Erste das Schweigen zu brechen. Dieser Kampf wird ohne Worte ausgetragen, und ich weiß, dass ich ihm gewachsen bin, dass ich die aufkeimende Nervosität unterdrücken und Hartogs forschendem Blick standhalten kann.
    Er gibt als Erster auf. Mit einem Seufzer lehnt er sich zurück und fährt sich über die Stirn. »Wir werden der Sache nachgehen«, sagt er. »Bedauerlich ist nur, dass van Vliet nicht
mehr lebt. Er ist vor zwei Jahren in der Haftanstalt Bijlmer gestorben, aber das wissen Sie wahrscheinlich. Van Vliet ist nicht der einzige Verdächtige, den wir im Auge haben. Olaf
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