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Klassentreffen

Titel: Klassentreffen
Autoren: S Vlugt
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hätte …«
    Ich lache. »Als ob ich das hätte! Ich verdiene es mir schon irgendwie. Notfalls mit Tellerwaschen im Restaurant; ich bin da nicht wählerisch.«
    Zinzy sieht mich voller Bewunderung an, ein Blick, den ich genieße wie ein warmes Bad.

    »Du bist also fest entschlossen, ja? Irgendwie träumt jeder mal davon, alles hinter sich zu lassen, aber du machst es wirklich. Toll, Sabine! Ich organisiere ein Abschiedsfest für dich.«
    »Nein, bitte nicht. Ich hab noch keinem gesagt, dass ich weggehe.«
    »Keinem?«
    »Wouter weiß natürlich Bescheid. Und das reicht vorerst«, sage ich mit einem Blick auf Renée. »Es gibt Leute, die möchte ich gern noch ein Weilchen in dem Glauben lassen, dass ich diesen Schreibtisch nie mehr hergebe.«

EPILOG
    Ich habe Bart einen Brief geschrieben, in dem ich ihm erkläre, dass ich völlig durcheinander bin und ihn eine Weile nicht sehen kann. Vielleicht sogar überhaupt nie mehr, aber das weiß ich noch nicht. Allerdings weiß ich jetzt, warum ich damals Schluss gemacht und mir keine Freundschaften und kein Glück mehr gegönnt habe.
     
    Könnte ich die Vergangenheit ändern, würde ich es sofort tun. Isabel ist durch mich umgekommen. In dem Moment, in dem sie mich brauchte, habe ich mich gegen sie gewandt. Wie kann ich mir da erlauben, weiterzuleben und glücklich zu sein, wo doch ihr Leben durch mein Zutun endete? Ich muss Abschied von ihr nehmen, ihr sagen, dass ich es zutiefst bereue. Auf dem Friedhof, auf dem sie nun begraben ist, geht das nicht; ich muss an den Ort, an dem es passiert ist.
    Eine Woche, bevor ich nach Spanien aufbreche, fahre ich nach Den Helder, zu den Dunklen Dünen . Ich parke an der Imbissbude am Waldrand und gehe zu der bewussten Stelle im Wald, zwänge mich unter dem Stacheldraht durch und dringe tiefer in das Dickicht ein.
    Das Mädchen folgt mir wie ein Schatten. Sie weint.
    »Warum machst du das? Es hat doch keinen Sinn! Was vorbei ist, ist vorbei. Woran willst du dich jetzt noch erinnern?«
    »An nichts«, sage ich und schiebe die Sträucher auseinander. »Ich weiß alles.«

    »Vergiss es wieder!«, fleht das Mädchen. »So wie schon mal, das war doch nicht schlecht, oder?«
    »Ein zweites Mal wird das kaum gehen«, sage ich.
    »Aber warum willst du noch mal hierher? Was hast du hier zu suchen?«
    Wir kommen zu der Lichtung und sehen die Gruppe Brombeersträucher.
    »Ich will Abschied nehmen«, sage ich leise. »Sagen, wie sehr es mir Leid tut.«
    Das Mädchen guckt in die andere Richtung. »Mir tut es nicht Leid.«
    Ich drehe sie an der Schulter zu mir her und schaue sie an.
    »Mir schon«, sage ich leise. »Und dir auch. Wir wollten das beide nicht. Du warst wütend, und jahrelang unterdrückte Wut ist eine gefährliche Waffe.«
    Sie schaut weg.
    »Man braucht gar nicht sehr stark dafür zu sein«, sagt sie leise.
    Sie wendet mir das Gesicht wieder zu, und ich sehe Tränen in ihren Augen. »Ich wollte das nicht«, sagt sie heiser. »Es ist passiert, ohne dass ich es wollte.«
    Ich sehe das Mädchen in die Richtung gehen, in die Isabel vor Olafs Wut geflüchtet ist. Als sie merkte, dass er ihr nicht folgte, spürte sie Anzeichen eines epileptischen Anfalls und ging weiter zu der Lichtung hinter den Bäumen; dort konnte sie sich nicht verletzen und war vor neugierigen Blicken geschützt.
    Ich ging ihr nach, verlor sie kurz aus den Augen und lief ein paarmal in die falsche Richtung. Warum bin ich ihr gefolgt? Ich habe keine richtige Erklärung dafür, außer dass ich immer gehofft hatte, eines Tages würde alles wieder gut zwischen uns. Und dass ein Moment kommen würde, in dem wir zu zweit wären, ohne Clique, und dass ich dann die alte Isabel wiederfinden würde. Das war der Grund, weshalb ich
mich durchs Gebüsch schlug und nach ihr suchte, nachdem ich sie aus den Augen verloren hatte.
    Irgendwann stand ich dann am Rand der Lichtung und sah sie dort sitzen. Mir war sofort klar, was los war: Sie hatte gerade einen epileptischen Anfall gehabt. Er konnte nicht lange gedauert haben, musste aber ziemlich heftig gewesen sein. Isabel war bleich und lehnte völlig erschöpft an einem Baumstamm.
    Regungslos blieb ich zwischen den Bäumen stehen und hoffte, dass sie mich nicht sehen würde. Aber Isabel schaute zu mir her, als hätte sie meine Anwesenheit gespürt. Sie sah mir in die Augen. Ich bewegte mich nicht, sie sich ebenso wenig. Wir starrten uns an, wie in einem Vakuum aus Raum und Zeit – die Jahre und alles, was zwischen uns gewesen war,
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