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Klassentreffen

Titel: Klassentreffen
Autoren: S Vlugt
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die Wohnung. Ich erschrecke so, dass ich senkrecht im Bett sitze. Völlig verwirrt, die eine Hand am Wecker, versuche ich mich zu orientieren. Bin ich richtig wach oder habe ich das Geräusch nur geträumt?
    Ich schaue auf den Wecker; die roten Digitalziffern zeigen fünf Uhr früh an. Fünf!
    Ich eile zum Wohnzimmerfenster und spähe durch den Vorhangspalt, sehe aber weit und breit keinen schwarzen Peugeot. Ich bleibe misstrauisch, gehe aber zur Tür, öffne das Sicherheitsschloss und schleiche im Dunkeln die Treppe hinunter zur Haustür. Durch den Spion kann ich den nächtlichen Besucher erkennen.
    Olaf.
    Mein Herz fängt wie wild an zu hämmern. Ich ducke mich, als könnte er durch Türen sehen. Wieder klingelt es, und jetzt höre ich auch einen Schlüssel im Schloss. Verflucht, er hat den Haustürschlüssel! Warum klingelt er dann erst? Um mir ordentlich Angst zu machen? Ich renne die Stufen hinauf, stolpere über den Treppenabsatz auf meine Wohnung zu. Das Merkwürdige ist, dass Olaf keinerlei Geräusch macht. Er sagt kein Wort, es sind keine Schritte zu hören, auch keine Atemzüge – und trotzdem steht er plötzlich hinter mir. Er packt mich am Arm, legt mir die Hand auf den Mund, bevor ich schreien kann, und schiebt mich vor sich her in die Wohnung.
    Leise macht er die Tür zu, dann dreht er mich, sodass ich ihn ansehen muss. Sein wutverzerrtes Gesicht ist ganz dicht vor meinem. Ich mache einen erstickten Laut hinter seiner
Hand. Er nimmt sie weg. Ich will schreien, Alarm schlagen, auf mich aufmerksam machen – aber ich kann nicht, habe keine Energie mehr. Sie strömt aus mir heraus wie Öl aus einem lecken Tank. Voller Angst weiche ich vor ihm zurück ins Wohnzimmer.
    »Du glaubst also, dass ich es war?«, sagt Olaf heiser. »Du hast mich festnehmen und von der Arbeit abholen lassen wie einen Kriminellen. Weißt du überhaupt, wie lange die mich auf dem Revier festgehalten haben? Die ganze Nacht! Verdammt noch mal, Sabine, kannst du dir vorstellen, wie man sich in so einem Kabuff fühlt, wo es nach Schweiß stinkt? Hast du eine Ahnung, was es heißt, angeglotzt zu werden, als wär man nicht mal das Anspucken wert?«
    Ich tappe rückwärts in Richtung Telefon, obwohl ich kaum eine Chance haben werde, ranzukommen. Olaf kommt im Dunkeln Schritt für Schritt auf mich zu.
    »Nein, das weißt du nicht!«, herrscht er mich an. »Du hast keine Sekunde darüber nachgedacht, wie es ist, wenn man in Handschellen aus dem Büro geführt wird und einem die ganze Abteilung nachstarrt, verdammt noch mal!«
    Seine geballte Wut macht mir Angst, sodass ich mich schützend zusammenkrümme. Eine Waffe, ich brauche etwas, das ich als Waffe benutzen kann. Ich muss mich verteidigen. Meine Hand tastet über die Kommode und findet das Metall-Schmuckkästchen mit den scharfen Kanten.
    »Warum, Sabine? Warum tust du mir das an?«
    Mit zwei Schritten ist er bei mir und packt mich am Handgelenk. Ich unterdrücke einen Aufschrei, weniger, weil mir sein harter Griff wehtut, sondern weil das Kästchen zu Boden fällt.
    »Warum?«, brüllt Olaf mich an.
    Ich will ausweichen, aber er hält mich nach wie vor fest und drückt mich gegen die Wand. Jetzt steigt Wut in mir auf.
Ich versetze ihm einen Stoß und mache ein paar Schritte zur Seite. »Warum nicht?«, schreie ich zurück. »Du wolltest doch Vergebung? Du hast doch irgendwas Schlimmes auf dem Gewissen! Warum hast du mir sonst davon erzählt? Was soll ich denn davon halten?«
    Plötzlich ist es unheimlich still. Zu dumm, dass ich im Dunkeln sein Gesicht nicht sehen kann. »Renée«, sagt er schleppend. »Ich hatte Renée gemeint.«
    »Renée?«, wiederhole ich dümmlich.
    »Ich wollte dir helfen. Das blöde Weib musste eins aufs Dach kriegen. Und ich hab dir doch damit geholfen, oder? Seit sie weg ist, läuft doch alles viel besser für dich.«
    Seinen flehentlichen Unterton finde ich noch schlimmer als die Wut. Langsam bewege ich mich in Richtung Wohnungstür.
    »Für mich hast du das getan?« Meine Stimme ist zittrig.
    Olaf sieht mich grimmig an.
    »Und Isabel? Hast du das auch für mich getan?«, sage ich aufs Geratewohl und riskiere einen vorsichtigen Seitenblick. Wenn ich jetzt lossprinte, könnte ich es schaffen.
    Olaf stößt einen Laut aus wie ein waidwundes Tier und geht im Zimmer auf und ab. Immer an der Tür vorbei.
    »Nein, du blöde Kuh! Natürlich nicht! Ich hab doch gesagt, dass ich damit nichts zu tun hab!«, schreit er. »Warum glaubst du nicht einfach, was ich sag?
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