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Klassentreffen

Titel: Klassentreffen
Autoren: S Vlugt
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schmerzliche Konfrontation, ein einziger großer Irrtum.

    Vielleicht bringt es mir wenigstens mehr Klarheit. Ich weiß aber nicht, ob ich dafür schon bereit bin.
     
    Ich gehe zu meinem Auto zurück. Vor mir stiebt Sand auf, und der Wind schiebt mich vorwärts, mahnt mich zur Eile. Ich bin hier nicht willkommen. Ich gehöre nicht mehr hierher.
    Trotzdem möchte ich nicht gleich nach Amsterdam zurück. Auch als heftiger Regen einsetzt, gehe ich nicht schneller.
    Mein Auto steht einsam auf dem großen Parkplatz. Normalerweise ist er brechend voll, aber der Sommer hat uns bisher im Stich gelassen. Ich denke an die Blechreihen, die hier an heißen Tagen in der Sonne funkeln.
    Es war schön, so nahe am Meer zu wohnen. Ich fuhr einfach an den im Stau schwitzenden Autofahrern vorbei, lehnte mein Rad an den Stacheldraht, zog das Handtuch unter dem Spannband hervor und suchte mir ein sonniges Plätzchen. Ärgerte mich über die vielen mit deutschen Bierdosen gefüllten Sandmulden. Aber das gehörte nun mal dazu. In Zandvoort findet man heute überhaupt keinen Platz mehr, wenn man nicht schon gegen neun am Strandaufgang ist.
    Ich mache die Autotür auf und bin froh, als ich sitze. Heizung an, einen Radiosender mit fröhlicher Musik suchen, die Tüte Lakritz auf den Beifahrersitz, den Motor anlassen – und nichts wie weg. Ich verlasse den Parkplatz und fahre am Waldstück Dunkle Dünen entlang in Richtung Zentrum.
    Bei Regen bietet Den Helder einen trostlosen Anblick. Amsterdam auch, aber in Amsterdam ist wenigstens immer was los. Den Helder ähnelt dann eher einer Stadt, in der es gerade Fliegeralarm gegeben hat.
    Ich mag Städte mit einem alten Kern, Städte, die eine Seele haben. In Den Helder sind nur die Einwohner alt. Die jungen Leute zieht es nach der Schule nach Alkmaar oder
Amsterdam. Übrig bleiben nur Marinesoldaten und Touristen, die nach Texel übersetzen wollen.
    Da wäre ich heute Morgen auch fast gelandet. Seit meine Eltern vor fünf Jahren nach Spanien ausgewandert sind, war ich nicht mehr in Den Helder, und ich kenne die Stadt als Rad-, aber nicht als Autofahrerin. Ich verpasste eine Abzweigung, fuhr auf den Deich zu, konnte nur noch rechts abbiegen und stand plötzlich hinter einer langen Schlange Autos, die auf die Fähre nach Texel warteten. Ich legte den Rückwärtsgang ein, aber hinter mir versperrte bereits der Wagen einer Urlauberfamilie den Weg. Erst ganz vorn konnte ich wenden und so einem unfreiwilligen Ferienaufenthalt unter Schafen entgehen.
    Ich fahre auf dem Middenweg zu meinem alten Gymnasium. Aus dem Autofenster sehe ich den fast leeren Schulhof. Nur ein paar Jugendliche trotzen dem Nieselregen und inhalieren gierig Nikotin, das ihnen helfen soll, den Tag zu überstehen.
    Ich fahre weiter. Drehe eine Runde um das Schulgebäude und nehme dann denselben Weg, den ich früher nach Hause gefahren bin. An der Kaserne Deibelkamp vorbei in Richtung Lange Vliet. Der Gegenwind kann mir heute nichts anhaben; ich zockle ruhig weiter, mit Blick auf den Radweg, den ich so viele Jahre gefahren bin. Isabel wohnte im selben Ort wie ich. An jenem Tag fuhren wir zwar nicht zusammen nach Hause, aber sie muss die Lange Vliet entlanggefahren sein.
    Ich weiß noch, dass ich sie vom Schulhof fahren sah. Ich trödelte absichtlich noch ein wenig herum, bevor ich mich auf den Weg machte. Wäre ich gleich hinter ihr hergefahren, wäre vielleicht nichts passiert.
    Ich gebe Gas und fahre so schnell über die Lange Vliet, wie gerade noch erlaubt ist. In Julianadorp biege ich bei der
ersten Gelegenheit links ab zur Schnellstraße. Als ich am Kanal entlangfahre, lege ich den fünften Gang ein und drehe das Radio lauter.
    Weg hier. Zurück nach Amsterdam.
    Laut singe ich die Lieder aus der Hitparade mit und angle mir ein Lakritz nach dem anderen aus der Tüte. Erst als Alkmaar hinter mir liegt, bin ich wieder in der Gegenwart angekommen. Ich denke an die Arbeit. Am Montag geht es wieder los. Heute ist Donnerstag; noch habe ich drei Tage für mich. Ich habe keine große Lust, wieder arbeiten zu gehen, aber es wird mir bestimmt gut tun. Ich hocke viel zu viel allein zu Hause rum und sehe dann plötzlich rätselhafte Bilder, wie Träume, vor meinen Augen. Höchste Zeit, dass ich mich wieder unter die arbeitende Bevölkerung mische. Und zwar so, wie es mir meine Therapeutin empfohlen hat: für den Anfang nur ein paar Stunden pro Tag. Damit ich nachmittags was Schönes unternehmen kann. Das hat sie mir verordnet.
     
    Ich arbeite
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