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Klassentreffen

Titel: Klassentreffen
Autoren: S Vlugt
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damals in eine eigene Wohnung zog.
    »Arbeitest du schon wieder?« Jeanine kommt mit zwei Bechern Kaffee und der Weinflasche unterm Arm ins Zimmer.
Sie stellt alles auf den Tisch und holt zwei Weingläser aus dem Schrank.
    »Heute war mein erster Arbeitstag.«
    »Und? Wie war’s?«
    »Es war …« Ich suche nach dem richtigen Wort. »Bescheiden. Ich war froh, als es halb eins war.«
    »Also war’s schrecklich.«
    »Das kann man laut sagen.«
    Schweigend trinken wir Kaffee.
    »Deshalb bin ich auch gegangen«, sagt Jeanine nach einer Weile. »Das Arbeitsklima hat sich total verändert. Renée leidet an akutem Größenwahn und stellt nur Leute ein, die ihr aus der Hand fressen. Das hab ich Wouter auch gesagt, als ich gekündigt hab. Aber du kennst ihn ja. Er ist überglücklich mit unserer Potentatin. Wie war sie zu dir?«
    »Wir haben kaum miteinander geredet. Genauer gesagt: Ich habe mit niemandem wirklich geredet. Die meisten kannte ich nicht, und von denen hat sich gerade mal die Hälfte die Mühe gemacht, sich vorzustellen. Ich hab brav die Post geöffnet und Schachteln gefaltet.«
    »Du musst da weg. So schnell wie möglich.«
    »Und dann? Was soll ich denn machen? Ich hab nichts auf der hohen Kante und kann’s mir nicht leisten zu kündigen. Wer weiß, ob ich einen neuen Job finde!«
    »Du findest garantiert was. Melde dich bei einer Zeitarbeitsfirma.«
    »Nein, danke. Da werde ich von hier nach dort geschickt, darf Ablage machen und den lieben langen Tag Daten eingeben. Ich warte lieber ab. Der erste Tag ist immer der schlimmste. Und dann such ich mir in aller Ruhe etwas anderes. Außerdem weiß ich noch gar nicht, was du jetzt machst!«

    »Ich arbeite in einer Anwaltskanzlei«, erzählt Jeanine. »Macht echt Spaß. Die Arbeit ist zwar nicht viel anders, aber das Betriebsklima …«
    Nicht ohne Neid trinke ich deprimiert den Kaffee aus.
    »Ich hör mich für dich um«, verspricht Jeanine spontan. »Über Beziehungen geht’s immer leichter, und ich hab dort schließlich mit vielen Leuten zu tun.«
    Dankbar sehe ich sie an. »Wenn du das tun würdest …«
    »Klar doch, kein Problem. Arbeitet Olaf eigentlich noch bei der BANK?«
    »Olaf? Welcher Olaf?«
    »Stimmt, den kennst du ja noch gar nicht. Er arbeitet in der EDV, ein irre cooler Typ. Die PCs liefen alle einwandfrei, aber die ganze Abteilung lag danieder.« Jeanine kichert.
    »Den hab ich noch nicht gesehen«, sage ich.
    »Dann sieh mal zu, dass du ihn kennen lernst«, sagt Jeanine. »Zieh einfach den Stecker von deinem Computer raus und ruf Olaf.«
    »Ach, hör doch auf!«
    »Renée ist hin und weg von ihm«, grinst Jeanine. »Du musst sie mal beobachten, wenn er ins Sekretariat kommt. Du wirst dich kringeln!« Sie springt auf und imitiert eine kokettierende Renée, sodass ich ebenfalls lachen muss.
    »Zum Glück lässt sie ihn völlig kalt«, sagt Jeanine zufrieden. »Ist dein Kaffee alle? Dann gehen wir jetzt zum Wein über. Schenk schon mal ein, ich muss mir nur noch schnell die Haare ausspülen, sonst sind sie morgen orange.«
    Während Jeanine im Badezimmer herumkleckst, schenke ich die Weingläser voll. Ich habe mich schon lange nicht mehr so wohl gefühlt. Es ist doch gut, die Initiative zu ergreifen. Sollte ich häufiger tun. Nicht abwarten, sondern selbst auf Leute zugehen. Vielleicht hat Renée ja mal Lust, mit mir ins Kino zu gehen.

    Kichernd trinke ich einen Schluck Wein.
    Mit nassen, dunkelroten Haaren kommt Jeanine zurück. Sie trägt jetzt eine Jeans und ein weißes T-Shirt und wirkt fröhlich und lebhaft. Ganz so, wie ich sie kenne, bis auf die Haarfarbe.
    »Sieht toll aus«, sage ich voller Bewunderung. »Aber ganz schön gewagt nach dem Braun!«
    Der Abend wird lang. Wir trinken, lachen und ziehen über Renée her. Jeanine informiert mich genauestens über die neuen Kolleginnen und kommt zu der Schlussfolgerung, dass sie eigentlich ganz okay sind, aber leider nicht merken, wie manipulativ Renée ist.
    »Sie hat bei den Kollegen Gift über dich verspritzt«, warnt mich Jeanine. »Du darfst nicht warten, bis sie zu dir kommen, das machen sie nämlich nicht. Geh selbst auf sie zu und zeig ihnen, dass du nicht so bist, wie Renée dich dargestellt hat.«
    »Hat sie mich denn wirklich schlecht gemacht?«, sage ich zweifelnd. »So falsch kann sie doch nicht sein?«
    »O doch«, sagt Jeanine laut. »Wenn’s nach ihr geht, bist du erst krank, wenn du auf der Intensivstation liegst oder von Kopf bis Fuß eingegipst bist. Sie hat mal gesagt,
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