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Klassentreffen

Titel: Klassentreffen
Autoren: S Vlugt
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sagt Jeanine. »Ich seh dich nur doppelt. Wenn ich richtig betrunken bin, seh ich vierfach.«
    Sie kichert, und ich kichere mit.
    »Du musst hier übernachten«, sagt Jeanine mit schwerer Zunge. »So lass ich dich nicht auf die Straße. Wie spät ist es überhaupt? O Gott, schon zwei Uhr.«
    »Das darf doch nicht wahr sein!« Ernüchtert springe ich auf. »Ich muss morgen wieder arbeiten!«
    »Meld dich doch krank, das versteht Renée bestimmt.«
    Prustend holen wir eine Bettdecke vom Boden, stopfen sie mit vereinten Kräften in einen Bezug und richten für mich ein Schlaflager auf dem Sofa her.
    »Gute Nacht«, sagt Jeanine schläfrig.
    »Gute Nacht«, murmle ich und schlüpfe unter die Decke, bette den Kopf auf ein Sofakissen und versinke in einer überwältigenden Weichheit.

KAPITEL 4
    Es wird über mich geredet. Nicht offen, sondern hinter meinem Rücken. Ich merke das, weil Stille eintritt, wenn ich mit meiner Unterschriftenmappe ins Sekretariat komme, ich merke es an den ausweichenden Blicken und den ertappten Gesichtern. Das verunsichert mich und lässt mir den Vormittag noch länger werden als er sowieso schon ist.
    Ich nehme mir ein Formular und bestelle Scheren, Locher und Büroklammern nach. Aus den Augenwinkeln sehe ich zur Uhr. Ist das Ding etwa stehen geblieben?
    Da durchbricht eine tiefe Männerstimme die Stille im Sekretariat. »Guten Morgen! Wie ich höre, gibt’s hier ein Problem?«
    Ich fahre auf meinem Bürostuhl herum und sehe einen durchtrainierten Mann von eins neunzig mit blondem Wuschelkopf. Ein breites Lachen auf einem sympathischen Gesicht.
    »Na so was, Sabine!« Mit großen Schritten durchquert er das Sekretariat und setzt sich auf meine Schreibtischkante. »Ich dachte schon gestern, das musst doch du sein, aber jetzt bin ich mir sicher. Du kennst mich wohl nicht mehr, was? Ich seh’s dir an.«
    Ich überlege fieberhaft, woher ich diesen Mann kenne, aber ich komme nicht drauf.
    »Äh … ja … war das nicht … ich meine …«
    Inzwischen registriere ich, dass mich meine Kolleginnen verblüfft und leicht missgünstig anstarren. Wahrscheinlich verdächtigen sie mich jetzt eines Doppellebens: tagsüber die brave Sekretärin und nachts Gott weiß was.

    »Olaf«, sagt er. »Olaf van Oirschot, du weißt schon, Robins Freund.«
    Der dichte Nebel in meinem Gehirn lichtet sich. Erleichtert atme ich auf. Klar! Der lange Olaf, ein Freund meines Bruders. Damals auf dem Gymnasium trieb sich Robin eine Zeit lang mit ein paar Typen rum, denen mehr an blödsinnigen Provokationen lag als an ihren Schulnoten.
    »Jetzt weißt du’s wieder«, sagt Olaf zufrieden.
    Ich nicke, lehne mich zurück und betrachte ihn eingehend. »Du warst doch der, der damals in dem Lokal so getan hat, als wäre er blind, oder?«
    Olaf lacht peinlich berührt. »Ach je, die Geschichte kennst du? Na ja, was soll ich dazu sagen? So waren wir damals eben. Im Übrigen haben wir den Schaden komplett ersetzt.«
    Um uns herum stehen bereits einige Kolleginnen. Renée braucht anscheinend ganz dringend was aus meinem übervollen Eingangskorb, den sie normalerweise bewusst ignoriert. Sie wendet sich an Olaf, als würde sie seine Gegenwart erst jetzt bemerken, und sagt lächelnd: »Hallo, Olaf, gut, dass du hier bist. Ich hab da nämlich ein Problem mit meinem PC. Wenn ich etwas speichern will, kriege ich immer so komische Meldungen. Könntest du dir das bitte mal ansehen?« Noch im Reden zieht sie Olaf mit sich zu ihrem Schreibtisch. »Schau mal, das meine ich.«
    Olaf dreht sich zu mir um: »Bis später, Sabine.«
    Ich nicke und will mich wieder auf meine Bestellformulare konzentrieren, aber es gelingt nicht; die unerwartete Konfrontation mit einer Zeit, die ich längst hinter mir gelassen habe, hat mich völlig aus dem Gleichgewicht gebracht. Außerdem kann ich es kaum fassen, dass aus dem jungen Schlaks von damals so ein attraktiver Typ geworden ist …

    Als ich um halb eins endlich gehen kann, begegnen wir uns wieder. Im Lift.
    »Na, gehst du auch essen?«, sagt Olaf.
    »Nein, ich gehe nach Hause.«
    »Noch besser.«
    »Ich arbeite zurzeit halbtags«, sage ich etwas verlegen.
    »Ich im Prinzip auch, obwohl ich meist den ganzen Tag hier bin«, sagt Olaf grinsend.
    Mit verschränkten Armen lehnt er an der Spiegelwand und mustert mich ungeniert. Mit jeder Sekunde kommt mir der Lift enger vor.
    Ich lehne mich genauso lässig an die Wand, verschränke ebenfalls die Arme, aber mein Blick irrt nervös hin und her. Mein Lachen über
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