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Klassentreffen

Titel: Klassentreffen
Autoren: S Vlugt
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ziemlich dürftiges Versteck. Und jetzt sag, Sabine: Hat Isabel da noch gelebt?«
    »Ja!«, stoße ich hervor.
    »Also hast du nicht gesehen, dass ich Isabel ermordet hab? Sag schon!«
    »Nein. Du warst es nicht«, sage ich kaum hörbar.
    »Da war noch jemand, richtig?« Olaf zischt gefährlich, wie eine Schlange, die jeden Moment zustoßen kann.
    »Ja«, bringe ich schluchzend hervor.
    Er richtet sich ein wenig auf und sieht mich lange an.
    »Du weißt also, wer es getan hat?«
    »Ja.«
    Er lächelt und lässt mich los, nimmt die Knie von meinen Armen, packt meine Hand und zieht mich hoch.
    Wie ein schlaffer Lappen hänge ich am Türrahmen.
    »Ein wundersames Ding, das Gedächtnis«, sagt Olaf. »Ich wusste doch, dass ich dir auf die Sprünge helfen kann.«
    Er dreht sich um und geht aus der Wohnung. Ich werde ihn nie mehr wiedersehen, das weiß ich ganz genau. Ich stolpere ins Schlafzimmer, lasse mich aufs Bett sacken und weine wie noch nie in meinem Leben.

KAPITEL 42
    »Ich fürchte, wir haben keinerlei Beweise gegen Herrn van Oirschot«, sagt Rolf Hartog. »An jenem achten Mai war er um halb drei mit seiner Mathematikprüfung fertig. Und seine Mutter hat bestätigt, dass er danach sofort nach Hause kam. Das bedeutet, dass er sich um diese Zeit nicht mit Isabel Hartman in den Dunklen Dünen getroffen haben kann.«
    Ich sitze im Bademantel auf dem Sofa, eine Tasse heißen Tee in der einen Hand, den Telefonhörer in der anderen. Es ist neun Uhr, und die Morgensonne scheint friedlich ins Zimmer, als hätten hier nicht vor Stunden noch Angst und Verwirrung geherrscht.
    »Deshalb rufe ich ja an«, sage ich, noch leicht heiser wegen der Halsschmerzen. »Ich habe mich geirrt. Olaf van Oirschot hat nichts mit Isabels Tod zu tun.«
    Stille am anderen Ende.
    »Tatsächlich?«, sagt Hartog. »Wieso denn das auf einmal?«
    »Heute Morgen waren auf einmal die letzten Puzzleteile wieder da. Ich habe mich plötzlich erinnert, wie es war; ich weiß, wer Isabel umgebracht hat.«
    Stille.
    »Es war ein Fremder. Er hat neben ihr gekniet und wie besessen gegraben. Isabel war tot. Das habe ich daran gesehen, dass ihr Kopf nach hinten hing, an den weit aufgerissenen Augen und dem offenen Mund. Der Mann hat kurz aufgeschaut, als hätte er gemerkt, dass er beobachtet wird, aber gesehen hat er mich nicht. In dem Moment habe
ich sein Gesicht deutlich gesehen. Weil ich Angst hatte, er könnte mich entdecken, bin ich schnell weggegangen.«
    Wieder ist es still. Ich höre Papier rascheln und stelle mir vor, dass Hartog eifrig Notizen macht.
    »Würden Sie das Gesicht erkennen, wenn wir Ihnen Fotos vorlegen?«, fragt er.
    »Ja«, sage ich. »Ich glaube schon.«
    Wir machen einen Termin aus.
     
    Ich nehme mir für unbestimmte Zeit Urlaub, erkläre Zinzy kurz und knapp, was Sache ist, und rufe dann Robin an. Er ist im Büro, bietet aber sofort an vorbeizukommen, als ich ihm den Grund für meinen Anruf nenne. Eine halbe Stunde später steht er im Wohnzimmer vor mir.
    »Sabine!« Schockiert starrt er die Würgemale an meinem Hals an. »Wer hat dir das angetan?«
    »Olaf.« Ich kuschle mich wieder in meine Sofaecke und ziehe den Bademantel etwas höher, damit Robin woanders hinschaut.
    »Den bring ich um!«, sagt er aufgebracht. »Ist der denn komplett durchgedreht? Du hast hoffentlich Anzeige erstattet, ja?«
    »Nein, und das werde ich auch nicht«, sage ich. »Olaf hat Isabel nicht ermordet, Robin. Da bin ich mir ganz sicher.«
    »Kann sein, dass er’s nicht war, aber dich hätte er fast umgebracht! Warum zeigst du ihn nicht an? Ich versteh dich nicht! Womöglich kommt der Irre noch mal wieder?!«
    »Er kommt garantiert nicht wieder.« Ich schaue vor mich hin. »Und er hat mich auch nicht umbringen wollen. Er war wütend, furchtbar wütend. Mir wäre es nicht anders gegangen, wenn mir jemand einen Mord angehängt und ich die ganze Nacht auf dem Revier gehockt hätte. Im Grunde hat
Olaf mir damit sogar geholfen.« Ich streiche sanft über meinen Hals.
    »Wieso denn das?«, sagt Robin wütend. Auf seinem Gesicht malen sich Unverständnis und Zorn.
    »Das letzte fehlende Stück Erinnerung kam dadurch wieder. Es war plötzlich da, als ich in der gleichen Situation war wie Isabel …« Ich schaudere und beiße mir auf die Lippe, um die Selbstbeherrschung zu wahren. »Es ist furchtbar, so zu sterben, Robin«, flüstere ich. »Ganz furchtbar.«
    Robin lässt sich neben mich aufs Sofa sinken und legt die Arme um mich. »Ja, das kann ich mir
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