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Kirchwies

Kirchwies

Titel: Kirchwies
Autoren: Hannsdieter Loy
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Kübel voller Geranien. Mit den kleinen Fäusten hämmerte er auf die Blumen ein.
    Die Luft war erfüllt vom Geheul des Buben, dem Krächzen der Krähen, dem Bellen der Hunde, dem Geschnatter der Frauen, dem Geblöke der Kühe, dem Gewieher der Zugpferde drunten am Weg, denen das Warten zu lang und der Lärm zu groß wurde. Da entschloss sich Anton Scheiberl zu einem Soloauftritt als Tenor.
    Eingehüllt vom würzigen Duft gebratenen Fleisches und gebackener Folienkartoffeln hielt er eine kurze Rede. Keiner hörte zu. Dann deutete er mit ausgestrecktem Arm auf den blutrot-orangefarbenen Abendhimmel und schürzte die Lippen zum Capri-Lied. Schon in seiner Jugend hatte diese Schnulze einen Zopf gehabt.
    Wenn auf Capri die rote Sonne im Meer versinkt …
    Zum Schmalz des Lieds passten die Pomade in seinen Haaren und die langen Koteletten. Ein bisserl Elvis Presley, ein bisserl George Williams. Er hätte sich lächerlich gemacht, hätte er nicht hohes Ansehen genossen. Einst hatte er ein Firmenimperium besessen, ihm gehörte der kleine Sportflugplatz vor den Toren seiner Villa, und er saß im Gemeinderat.
    Zu dieser Melodie tanzte der Bürgermeister Campari eng umschlungen mit Margot, seiner Gattin, inmitten einer schwitzenden, glücklich angeheiterten Menge, umgeben von Capriflair. Es war ein bisschen so, als würde ein Gorillaweibchen von ihrem Silberrücken in die Arme geschlossen. Seine Bartstoppeln kratzten an ihrem Hals, als er sie fragte: »Alles in Ordnung, Spatzl?«
    Sie sah mit großen Augen zu ihm auf und nickte. Sie konnte nicht ahnen, wie unheilvoll der Tag noch werden sollte.
    Die Leute tanzten, kauten auf dem letzten Rest Grillfleisch herum, tranken Bier, ihnen war heiß, und sie waren glücklich und zufrieden. Am engsten ans vollkommene Glück schmiegte sich in diesem Augenblick Margot Campari.
    Zu früh. Denn hinter ihrem Rücken zwinkerte der Silberrücken einem anderen Weibchen zu.
    Pater Timo hatte sich erhoben und schlenderte bewusst unauffällig zu dem tanzenden Paar hin. Im Vorübergehen sagte er in dezenter Lautstärke, sodass er sicher sein konnte, dass Margot es hörte: »Ihre Frau wird sich bedanken!«
    Die Bemerkung war an und für sich unverfänglich. Doch Frauen haben ein untrügliches Gespür für die Tonart.
    »Wen hast du denn jetzt schon wieder im Visier, du Lump?«, schrie Margot Campari. Ihre Stimme überschlug sich, während sie ihren Mann vehement von sich wegstieß.
    Ein Glück für ihn, dass Thea, der sein Blick gegolten hatte, gerade Anton Scheiberl den Nacken massierte und nur Augen für den Caprisänger hatte.
    »Bella, bella, bella Marie«, knödelte der Sänger
    »Bleib mir treu, ich komm zurück morgen früh
    Bella, bella, bella Marie
    Vergiss mich nie.«
    Thea nahm die Hände von Scheiberls Nacken, gab ihm einen Klaps auf den strammen Rücken und rannte auf die Gruppe zu. »Macht mir nicht mein Gartenfest kaputt«, fuhr sie laut dazwischen. »Hört auf mit eurem blöden Ehekrach.«
    »Da hast du was Schönes angerichtet«, keifte Fanny böse und schob ihren Bruder vor. »Jetzt bügel’s aber auch wieder aus! Los, hopp!«
    Pater Timo wusste, dass seine Schwester recht hatte. Bevor etwas Ernsthaftes passierte, richtete er sich zu seiner ganzen Länge auf und ging zu der Bürgermeistergruppe hin. Wie zum Abendsegen breitete er die Arme aus. »Meine lieben Freunde«, sprach er kanzelmäßig. »Lasst’s gut sein und vertragt euch wieder. Es ist nichts passiert, und das bisschen, was passiert ist, hat keiner böse gemeint.«
    Thea lief ins Haus, kam mit einem Akkordeon wieder heraus, band es sich um den Hals und begleitete den Caprisänger. Ihre Virtuosität auf den Tasten und die Beweglichkeit ihrer Hüften steckten an. Aller Streit war vergessen. Die Gäste sangen im Chor, tranken, stießen miteinander an, rülpsten, wischten sich mit schweißfeuchten Taschentüchern oder an den Tischdecken die Stirn trocken. Sie lockerten Hosengürtel oder Reißverschlüsse, um noch Platz für die Torte zu schaffen, die zum Nachtisch angekündigt war.
    Mitten im tumultartigen Gewühl, als sich die Sonne endgültig hinter die Berge verzogen hatte, schoss ein wie vom Affen gebissener Hund herein. Er wuselte bellend um sämtliche Beine herum, als ob er hinter etwas oder jemandem her war, und suchte Aufmerksamkeit. Der Hund war ein braunes verfilztes Etwas von unbestimmter Rasse, bestimmt aber hoher Intelligenz. Denn im Nu hatte er gefunden, was er wollte. Sobald er die Heidi erspäht und
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