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Kirchwies

Kirchwies

Titel: Kirchwies
Autoren: Hannsdieter Loy
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die deutsche Meisterschaft und wurde international bekannt. Sie entschied sich fürs Profiboxen, hängte den Arztberuf an den Nagel und erkämpfte sich innerhalb von zwei Jahren den Weltmeistertitel im Fliegengewicht. Und verlor den Mann. Der hielt den Stress, die Abwesenheit und die Eifersucht nicht aus und verschwand von einem Tag auf den anderen. Fritzi hatte nie wieder etwas von ihm gehört.
    Güterwagenmäßig Knete habe sie mit ihrem Sport verdient, hieß es. Sie zog sich zurück und erwarb den Reiterhof genau unterhalb vom Wieskircherl, den sie zum »Blumenhof« umbaute und an Feriengäste vermietet.
    Thea war erstaunt gewesen, als sie Fritzi kennenlernte, überrascht, als sie erstmals mit ihr gesprochen hatte. Die graziöse Frau hatte eine tiefe, volltönende, in ihrer Rauheit beinahe vulgäre Stimme, einen feinen Humor und die Fähigkeit, über sich selbst zu lachen.
    Ein unbeschwertes Glücksgefühl, fast wie am Mittelmeer, befiel Thea. Unter dem Zirpen der Grillen und dem herben Aroma von Rosmarin und anderen Gewürzen stand Heidi auf der von zwei hohen Zypressen beschatteten Terrasse am Grill. Sie hatte sich eine braune Lederschürze umgebunden – »Flötzingerbräu« stand drauf – und lächelte ihr Grübchenlächeln.
    Thea war Heidi, der Blumenfrau von Kirchwies, dankbar für diese Nachbarschaftshilfe. Heidi war Köchin von Beruf und in einem Zweisternehotel am Chiemsee groß geworden. Doch irgendwann hatte sie den Stress der Sterneküche gegen die verwaiste Tankstelle von Kirchwies eingetauscht und ein Blumen- und Ökogeschäft draus gemacht. Der Laden florierte, nicht zuletzt der Touristen wegen. Heidi war es auch gewesen, die den überflüssig gewordenen Straßenkreisel in ein Sommermeer aus roten und rosa Rosen und blauem Lavendel verwandelt hatte. Im Frühjahr leuchteten Märzenbecher, Krokusse in den verschiedensten Farben und Narzissen die Dorfstraße hinunter, im September die üppige Pracht der Herbstblumen. Auch der Heidi, so munkelte man, sei das Ruderboot vom Pauli nicht ganz unbekannt. Anscheinend war Thea die einzig Unbescholtene im Ort, was den Pauli anbetraf.
    »Heidi«, war eine schrille Stimme über das raunende Stimmengewirr hinweg zu hören. Es war Fanny, die Schwester des Paters. »Ich brauch dringend das Rezept für die Pfaffenbäucherl mit Petersilienkartoffel noch mal!«
    Lachend hob Heidi die Hand und nickte. Mit der anderen packte sie dem reichen Anton Scheiberl eine Riesenscheibe Leberkäs auf den Teller, gefolgt von frisch zubereitetem Kartoffelgurkensalat.
    »Pfaffenbäucherl, Pfaffenbäucherl«, plärrte ein kleiner Fratz dazwischen und hämmerte mit beiden Fäusten dem Pater Timo auf dem Bauch herum.
    »Odilo! Wirst du wohl aufhören!«, schimpfte die Fritzi nicht ganz ernst.
    »Sag ich’s doch immer! Das kleine Ekel ist grad so unleidlich wie sein Name. Odilo!« Margot Campari, die Bürgermeistersgattin, kündigte ihr Erscheinen an.
    »Des stimmt. Den Buben sollde man im Griff ham«, pflichtete Fanny bei.
    Pater Timo hob wie zum »Ave Maria« besänftigend die Hand und senkte den Kopf. Keiner schien sein breites Grinsen zu sehen.
    Als der Bürgermeister auf der Terrasse unter den Zypressen die Stimme seiner Frau hörte, zog er wie von der Viper gebissen blitzartig den Arm von der Hüfte der Heidi zurück. Doch zu spät. Margot hatte die zwei bereits erspäht. Sie ruderte mit den Armen und kämpfte sich schwer atmend vor.
    Ganz geheuer war Thea Brommel das nicht. Heldenhaft warf sie sich dazwischen. »Ihr Mann wollte doch nur beim Grillen helfen!«
    Doch gegen Margots Fleischmassen hatte Thea keine Chance. Margot Campari packte ihren Mann am Kragen und schleifte den schweren Burschen an seinen Platz. Wo er gesessen hatte, erkannte sie unschwer an der Ray-Ban-Sonnenbrille neben dem Rotweinglas. Niemand sonst in Kirchwies trug eine Ray Ban.
    Die beiden stritten, dass die Fetzen flogen.
    Durstig konnte keiner mehr sein, denn der Biervorrat war halb aufgebraucht. Trotzdem schoben sich manche Gäste – immer wieder dieselben – durch das muntere Gewirr der anderen nach vorn zum Fass hin und zum Grill.
    Im Westen schickte sich die Sonne an, einen blutroten Abendhimmel zu inszenieren. Wie ein Heiligenschein, dachte Pater Timo entzückt und verfolgte das Schauspiel.
    »Pfaffenbäucherl, Pfaff–«
    Die Watschn, die Odilo von irgendwoher einfing, saß. Weinend verwandelte er sich in einen Hubschrauber, propellte an den vielen Beinen vorbei und warf sich in einen hölzernen
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