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Kirchwies

Kirchwies

Titel: Kirchwies
Autoren: Hannsdieter Loy
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kleines Vergnügen. Doch die, die er vorhin angehört hatte, war anders. Sie traf ihn im Inneren und führte ihn in einen widerlichen Zwiespalt.
    »Kann ich noch einen Schluck Wasser haben?«, bat er sie.
    Sein Mund war trocken.

zwei
    Der Junge, der Wang Ming die Tür öffnete, war höchstens vier oder fünf Jahre alt und trug den Ausdruck eines eiskalten Killers im Gesicht.
    »Wer bist du, Fremder?«, fragte er.
    Wang Ming musste noch etwas verschnaufen. Er hatte sein Fahrrad drunten vor dem Gartentor stehen lassen, und die Strecke über den bergauf führenden Plattenweg war anstrengend und wollte erst einmal verdaut werden.
    »Ich bin Wang Ming, der Dorfklamer«, antwortete der Chinese schlitzäugig lächelnd.
    Herr Wang war rund von Gesicht und dorfweit als eine Ausgeburt an Freundlichkeit bekannt. Niemand hatte ihn je ungehalten, störrisch oder nervös erlebt. Sein Deutsch war einwandfrei und bayerisch angehaucht, entbehrte jedoch des Buchstabens R.
    »Niemand kriegt mich lebend«, rief der Kleine und schoss ihm mitten in die Stirn. Nur gut, dass es eine Wasserpistole war.
    Wang ließ sich auf eine spielerische Rauferei mit dem Buben ein. Er entwaffnete ihn kurzerhand. Als der deswegen zu weinen anfing, schoss Wang ihm eiskalt ins Gesicht und auf den Oberkörper und machte ihn patschnass.
    »Odilo! Was ist denn los? Warum weinst du?«
    Die Mama des niedlichen Engels, Fritzi Gernot, kam aus dem Haus gespurtet. Sie hob die Pistole auf und warf sie in das bereitstehende Erdbeerbeet.
    Das Haus war eine Villa, so groß wie ein normales Achtfamilienhaus, das Anwesen drum herum entsprechend. Es lag in einem mehr als einen Hektar großen Garten auf einem Hügel am Rand des Dorfes. Das Gebäude hatte rustikale Dachbalken, schwarz-weiße Badezimmerfliesen, bunte Geranien und Begonien vor den Fenstern, moderne und alte Bilder in den Gängen und viele Zimmer. Hinterm Haus meckerten Ziegen, auf dem Dach saßen Tauben und Amseln friedlich nebeneinander, ein Mäusebussard schwebte hoch am Himmel.
    Früher war dieser Landsitz ein Reiterhof gewesen. Fritzi Gernot hatte ihn nach dem Erwerb zu einem fröhlichen Ferienhof umgebaut, der stets ausgebucht war. Der Name »Blumenhof« traf den Nagel auf den Kopf.
    Die Anlage erstreckte sich über mehrere Ebenen und Terrassen und bot einen weiten Ausblick auf das fortlaufende Tal und blau schimmernde Gebirgszüge mit im Dunst verschwindenden knallgrünen Almwiesen und weißgrauen Felshängen. An klaren Tagen hatte man sogar einen beeindruckenden Blick auf den über fünfzig Kilometer entfernten Olympiaturm in der Landeshauptstadt.
    »Schluss jetzt mit dem Krach!«, kreischte die Mutter, halb im Zorn und halb im Spaß.
    Odilo schrie wie am Spieß und rannte mit hämmernden Armen ins Haus.
    »Haben Sie ihm dieses verdammte Spielzeug mitgebracht? Ich hab genug Arbeit mit diesem kleinen Teufel. Da brauch ich nicht auch noch Action von außen!«
    Fritzis Hautfarbe wechselte von rötlich zu normal sportlich gebräunt. Sie hatte sich beruhigt. Innerhalb von Sekunden. Resultat ihres letzten Berufs. »Was wollen Sie denn eigentlich, Herr Wang?«, fragte sie den Chinesen verwundert.
    Er deutete eine Verbeugung an.
    Was Wang Ming wollte, war leicht zu erklären. Sein Laden belieferte die Feier von Thea Brommel. Da er wusste, dass Flau Gelnot der Flau Blommel bei den Vorbereitungen half, wollte er sicherstellen und sich erkundigen, dass nichts vergessen worden war. Herr Wang war da gewissenhaft.
    Sein Dorfkramerladen war ein Wunder an kaufmännischer Bedarfsdeckung. In dem Laden gab es kaum etwas, was es nicht gab. Die wenigen Sachen, die Wang Ming nicht führte, gab es gegenüber in der Kirche, auf dem Friedhof oder bei Thea Brommel selbst.
    Was Wang Ming mit seinem Geld anfing, wusste keiner der Dörfler. Vielleicht bekam er ja nie Geld. Vielleicht bestand sein ganzer Reichtum aus Rechnungen, die nie bezahlt wurden. Seine Kunden machten sich manchmal einen Spaß daraus, ihren Einkauf anschreiben zu lassen. Dann traute er den verehrten Mitbürgern exakt so lange, bis weiteres Vertrauen lächerlich oder geschäftsschädigend gewesen wäre. Er war beliebt im ganzen Dorf, alle schätzten sein zuvorkommendes Wesen, und man hatte vor ihm Respekt. Außerdem war er sozusagen das Schwarze Brett für alle. Die Lokalzeitung.
    Fritzi und er gingen die mitgebrachte Einkaufsliste durch.
    »Doch«, meinte Fritzi, »das müsste reichen. Wenn was fehlt, sind Sie ja nicht weit. Ich kümmere mich
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