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Kirchwies

Kirchwies

Titel: Kirchwies
Autoren: Hannsdieter Loy
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verreckter! Mi leckst am Arsch! Schleich di, oide Schlambn!, hatte er allerorten gehört. Nichts, was einen anständigen Christenmenschen so recht in himmlische Hochstimmung versetzen konnte.
    Campari hatte lange gezögert, den Einfall zu verwirklichen. Nicht weil es ein schlechter Einfall war, sondern weil er von Pater Timo kam. Seit er mit dem Dorfgeistlichen zu tun hatte, war ihm jeder stinkende Ziegenbock sympathischer als dieser Pfarrer.
    Der fünfköpfige Gemeinderat hatte sich mit dieser Entscheidung keinen Etatsprung nach oben erhofft. Doch dass in all den Jahren ganze dreißig Euro eingenommen wurden, weil einer öffentlich laut geflucht hatte, das lag nun doch weit unterhalb der Erwartungsgrenze. Anscheinend hatte die Maßnahme geholfen.
    Wie gesagt, Kirchwies ist eine Insel des Friedens.
    Ein engerlgleiches Dorf, dem allerdings ein großer Sturm bevorsteht.
    Es ist die Zeit des beginnenden Sommers. Die Luft hängt wie eine dünne Gardine über dem Dorf, der Bahnstrecke und der Ferienanlage »Blumenhof«. Die Häuser dösen vor sich hin, still und staubig wie aufgespießte Falter. Katzen und Hunde schlummern zwischen den Hecken der Vorgärten, und die tiefe Reinheit der Mittagsstille trägt die Hammerschläge des Bootsbauers unten am Grünsteinsee in die Dorfstraße und die Gassen herauf. Das Blau des Himmels vertieft das Blau des Sees, die Wellen kräuseln sich im leichten Wind.
    Wang Ming, der Chinese, füllt die letzten Lücken in den Regalen seines Kramerladens auf. Danach hängt er das Schild »In fünf Minuten zurück« an die gläserne Eingangstür und geht für die nächsten zwei Stunden heim. In seinem Hühnerhof regen sich die Hühner mit gelassenem Krächzen und Glucksen, ungeahnt ihres kümmerlichen und kurzen Daseins.
    Die Bäume vor Wang Mings Laden bewegen langsam und genießerisch ihre Zweige. Max Campari, der gewichtige Bürgermeister, legt auf dem Balkon vor seinem Amtszimmer die Beine übers Geländer und schiebt sich eine dicke Prise Schmalzler ein. Eine kleine Gruppe Menschen, welche die Nacht und den Vormittag am See verbracht hat, begrüßt Freunde und begibt sich für die Abreise zum Bahnhof. Westlich von Kirche und Friedhof, drüben am Segelflugplatz, schmiert Anton Scheiberl, dem der Platz gehört, die Seilwinde, um sie geräuschloser zu machen. Pater Timo bereitet seine Sonntagspredigt vor, und Odilo, ein Vieri- oder Fünfjähriger, schwingt sich auf, sich im frei stehenden Holzbackofen zu verstecken, während seine Mutter auf Zehenspitzen unter dem Amselnest steht und wartet, dass die Jungen endlich schlüpfen. Das hätten sie schon vor ein, zwei Monaten tun sollen.
    Thea Brommel plant, den Einzug in ihr Haus mit Bier, Grill und Musik zu feiern. Sie hatte sich vom allerersten Augenblick an in dieses einstmals weiß gestrichene, von alten, ungestutzten andalusischen Rosen bewachsene Haus verliebt. Lange hatte sie davon geträumt, es zu erwerben. Und nun ist es so weit.
    Niemand ahnt, dass bald ein grässlicher Mord Kirchwies, das Herzlichste Dorf, aufscheuchen wird wie einen Schwarm Fliegen von einem Haufen Kuhfladen.
    * * *
    Die Hunde sind zu dritt. Früher hatte jeder einen Namen gehabt, aber seit die alte Kernerin tot ist, hat sich kaum jemand mehr um die drei Mischlinge gekümmert. Man hätte ja meinen müssen, dass die drei komplett verwahrlost wären. Oder den Hungertod gestorben wären. Doch sie entpuppten sich als wahre Überlebenskünstler. Jeder für jeden, alle für einen, so beschaffen sie sich ihr Futter und ihren Schlafplatz in und um Kirchwies. Jeden Tag und jede Nacht aufs Neue.
    Einer, der braune Kurze, findet zwischendurch immer wieder einmal Unterkunft und Verpflegung bei einer menschlichen Wohltäterin und kann dann seine Freunde mit Resten versorgen. Er ist der natürliche Anführer der drei, die sämtlich keine Familie und kein weiteres Streben haben als Essen und Trinken und ein bisschen Wohlbefinden.
    Auch heute sind sie wieder unterwegs. Heute, an diesem Montag, einem Junitag, im Morgengrauen. Später glaubte ein Frühaufsteher, die drei von seinem Fenster aus bemerkt zu haben. Die Dorfstraße hinunter Richtung Rathaus und Sparkasse seien sie gelaufen, gab er an.
    Hinterm Dorfkramer machen sie eine Biege. Beim Dorfkramer gibt’s immer was Essbares aufzutreiben. Manchmal kommt der kleine Chinese sogar selbst aus seinem Laden, um ihnen ein Stück Wurst, einen Kanten altes Brot oder ein paar überreife Erdbeeren zukommen zu lassen. An diesem Morgen aber
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