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Kinsey Millhone 11 - Frau in der Nacht

Kinsey Millhone 11 - Frau in der Nacht

Titel: Kinsey Millhone 11 - Frau in der Nacht
Autoren: Sue Grafton
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anging. Als Kind bekam sie Asthma, und mit der Zeit versäumte sie ziemlich viel in der Schule und war deshalb nie besonders gut. Sie hatte einen messerscharfen Verstand, aber sie hat die Hälfte der Zeit gefehlt. Die Ärmste war fast gegen alles allergisch. Sie hatte nicht viele Freunde. Sie konnte nicht bei jemand anderem übernachten, weil die anderen Mädchen offenbar alle Tiere oder Hausstaub oder Moder oder was weiß ich hatten. Vieles wuchs sich aus, als sie erwachsen wurde, aber sie nahm immer irgendwelche Medikamente gegen dieses und jenes. Ich betone das deshalb, weil es sich massiv auf ihre Entwicklung auswirkte. Sie war abweisend, dickköpfig und starrsinnig. Sie hatte einen Hang zum Trotz, glaube ich, weil sie daran gewöhnt war, allein zu sein und zu tun, was sie wollte. Und womöglich habe ich sie ein bißchen verwöhnt. Kinder spüren es, wenn sie die Macht haben, einem Kummer zu bereiten. Es macht sie in gewisser Weise zu Tyrannen. Lorna hatte keine Ahnung davon, wie man sich bei anderen Menschen beliebt macht, vom normalen Geben und Nehmen. Sie war ein anständiger Mensch, und sie konnte großzügig sein, wenn sie wollte, aber sie war nicht das, was man liebevoll oder fürsorglich nennen würde.« Sie hielt inne. »Ich weiß nicht, wie ich darauf gekommen bin. Ich wollte auf etwas ganz anderes hinaus, falls es mir wieder einfällt.«
    Sie runzelte die Stirn und blinzelte, und ich sah ihr an, daß sie ein inneres Notizbuch zu Rate zog. Eine Weile herrschte Schweigen, während ich meinen Kaffee trank und sie ihren. Schließlich setzte ihre Erinnerung wieder ein, ihre Miene hellte sich auf, und sie sagte: »Ach ja. Entschuldigen Sie bitte.« Sie verlagerte ihr Gewicht und fuhr in ihrer Schilderung fort. »Von den Asthmamedikamenten bekam sie manchmal Schlafstörungen. Jeder glaubt, daß man von Antihistaminika schläfrig wird, was natürlich auch der Fall sein kann, aber es ist nicht der tiefe Schlaf, den man zur Erholung braucht. Sie schlief nicht gern. Sogar als Erwachsene kam sie mitunter mit nur drei Stunden aus. Ich glaube, sie hatte Angst davor, sich hinzulegen. In flach ausgestreckter Lage schien sich ihre Atemnot noch zu verschlimmern. Und so gewöhnte sie sich an, nachts herumzuziehen, wenn alle Welt schlief.«
    »Mit wem hat sie sich getroffen? Hatte sie Freunde oder war sie allein unterwegs?«
    »Andere Nachteulen, schätze ich. Da gibt es so einen Radiodiscjockey, diesen Typ von dem Jazzsender, der die ganze Nacht läuft. Mir fällt jetzt sein Name nicht ein, aber vielleicht würden Sie ihn kennen, wenn ich ihn nenne. Dann war da noch eine Krankenschwester von der Nachtschicht im St. Terry’s. Serena Bonney. Lorna hat sogar in der Wasseraufbereitungsanlage für Serenas Mann gearbeitet.«
    Das notierte ich mir. Ich würde beide befragen müssen, wenn ich beschloß, ihr zu helfen. »Was war das für eine Arbeit?«
    »Es war nur ein Teilzeitjob... von eins bis fünf für die Stadt, Büroarbeiten. Sie wissen schon, tippen, Akten ablegen und Anrufe entgegennehmen. Sie war die halbe Nacht auf, und so konnte sie ausschlafen, wenn sie wollte.«
    »Zwanzig Stunden in der Woche sind aber nicht viel«, sagte ich. »Wie konnte sie davon leben?«
    »Tja, sie hatte ein eigenes, kleines Zuhause. So eine Hütte hinten auf dem Grundstück von jemandem. Es war nichts Besonderes, und die Miete war niedrig. Zwei Zimmer mit Bad. Vielleicht war es früher mal eine Art Gärtnerhäuschen. Ohne Isolierung. Sie hatte keine Zentralheizung und eigentlich keine richtige Küche, bloß einen Mikrowellenherd, zwei Kochplatten und einen Kühlschrank, der nicht größer war als eine kleine Kiste. Sie kennen ja die Dinger. Es gab Strom, fließendes Wasser und ein Telefon, und damit hatte sich’s in etwa. Sie hätte es sich richtig hübsch herrichten können, aber sie wollte sich nicht die Mühe machen. Einfach sei es ihr am liebsten, sagte sie, und außerdem sollte es ja nicht für immer sein. Die Miete war symbolisch, und das war offenbar das einzige, was sie interessierte. Sie wollte ihre Ruhe, und die Leute lernten, sie weitestgehend in Frieden zu lassen.«
    »Klingt nicht gerade nach einer allergenfreien Umgebung«, bemerkte ich.
    »Ja, ich weiß, und das habe ich ihr auch gesagt. Natürlich ging es ihr damals schon besser. Die Allergien und das Asthma waren eher saisonal bedingt als chronisch. Sie mochte hin und wieder nach körperlicher Anstrengung, wenn sie erkältet war oder unter Streß stand, einen Anfall haben.
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