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Kinsey Millhone 11 - Frau in der Nacht

Kinsey Millhone 11 - Frau in der Nacht

Titel: Kinsey Millhone 11 - Frau in der Nacht
Autoren: Sue Grafton
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Kette vor die Tür, öffnete sie einen Spalt weit und sah zu ihr hinaus.
    Sie war weit in den Vierzigern und trug modische Western-Kleidung: Stiefel, ausgebleichte Jeans und ein grobes Wollhemd. Dazu hatte sie sich mit so viel schwerem Silber- und Türkisschmuck behängt, daß man fürchtete, sie würde gleich damit rasseln. Das dunkle Haar reichte ihr fast bis zur Taille, und sie trug es offen, leicht gekräuselt und rostrot gefärbt. »Entschuldigen Sie die Störung, aber unten steht, hier oben gäbe es einen Privatdetektiv. Ist er vielleicht noch da?«
    »Ah. Na ja, mehr oder weniger«, sagte ich, »aber momentan sind eigentlich keine offiziellen Bürostunden. Könnten Sie eventuell morgen wiederkommen? Ich würde mich glücklich schätzen, Ihnen einen Termin zu geben, nachdem ich im Kalender nachgeschaut habe.«
    »Sind Sie seine Sekretärin?« Ihr gebräuntes Gesicht bildete ein unregelmäßiges Oval, rechts und links ihrer Nase zogen sich zwei scharfe Falten nach unten, und vier Falten zeichneten sich zwischen ihren Augen ab, wo sie die Brauen fast restlos weggezupft und mit Schwarz nachgezogen hatte. Für den Lidstrich hatte sie den gleichen spitzen Stift benutzt, während sie — soweit ich sehen konnte — sonst kein Make-up trug.
    Ich versuchte, nicht verärgert zu klingen, da der Irrtum häufiger vorkommt. »Ich bin der Detektiv«, sagte ich. »Millhone Investigations. Mein Name ist Kinsey Millhone. Haben Sie mir Ihren genannt?«
    »Nein, Entschuldigung, habe ich nicht. Ich heiße Janice Kepler. Sie müssen mich für völlig beschränkt halten.«
    Na ja, nicht völlig, dachte ich.
    Sie streckte mir die Hand entgegen und merkte dann, daß der Türspalt nicht breit genug war, um Kontakt aufzunehmen. Sie zog die Hand zurück. »Ich wäre nie auf die Idee gekommen, daß Sie eine Frau sein könnten. Ich habe das Schild unten im Treppenhaus schon öfter gesehen. Einmal die Woche besuche ich eine Selbsthilfegruppe ein Stockwerk tiefer. Ich habe mir schon länger überlegt vorbeizukommen, aber ich schätze, ich habe mich einfach nicht getraut. Als ich heute abend rausging, sah ich vom Parkplatz aus, daß Licht brannte. Ich hoffe, es macht Ihnen nichts aus. Ich bin auch auf dem Weg in die Arbeit und habe sowieso nicht viel Zeit.«
    »Was für eine Arbeit?« fragte ich ausweichend.
    »Schichtleiterin in Frankie’s Coffee Shop oben in der State Street. Von elf bis sieben, was es ganz schön schwierig macht, tagsüber Termine einzuhalten. Ich gehe meistens um acht Uhr morgens ins Bett und stehe erst am Spätnachmittag wieder auf. Aber wenn ich Ihnen mein Problem nur schildern dürfte, wäre es mir schon eine große Erleichterung. Wenn sich dann herausstellt, daß Sie so etwas nicht machen, können Sie mir vielleicht jemand anderen empfehlen. Ich kann wirklich Hilfe brauchen, aber ich weiß nicht, an wen ich mich wenden soll. Daß Sie eine Frau sind, könnte es leichter machen.« Die nachgezogenen Augenbrauen hoben sich zu zwei flehentlichen Bögen.
    Ich zögerte. Selbsthilfegruppe, dachte ich. Alkohol? Drogen? Süchtiger Partner? Wenn die Frau eine Schraube locker hatte, wollte ich es lieber gleich wissen. Der Flur hinter ihr war leer und wirkte unter dem Deckenlicht stumpf und gelblich. Lonnie Kingmans Anwaltskanzlei nimmt die gesamte zweite Etage ein — abgesehen von den beiden öffentlichen Toiletten, auf denen M beziehungsweise F steht. Es war nicht auszuschließen, daß ein paar Verbündete der Sorte M im Waschraum lauerten, die auf ein Zeichen von ihr hervorspringen und mich überfallen würden. Aus welchem Grund konnte ich mir allerdings nicht vorstellen. Sämtliches Geld, das ich besaß, mußte ich sowieso den Haien vom Finanzamt überlassen. »Sekunde, bitte«, sagte ich.
    Ich schloß die Tür, ließ die Kette aus ihrer Verankerung gleiten und machte die Tür wieder auf, damit ich sie hereinlassen konnte. Zögernd ging sie an mir vorbei, im Arm eine knisternde braune Papiertüte. Ihr Parfüm roch nach Moschus, und der Duft erinnerte mich an Sattelseife und Sägemehl. Sie schien sich nicht recht wohl in ihrer Haut zu fühlen, und ihr Verhalten war eine nervöse Mischung aus Besorgnis und Verlegenheit. Die braune Papiertüte enthielt offenbar irgendwelche Papiere. »Das war in meinem Auto. Ich möchte nicht, daß Sie denken, ich trüge es ständig mit mir herum.«
    »Hier herein«, sagte ich. Die Frau folgte mir dicht auf den Fersen ins Büro. Ich wies auf einen Stuhl und sah ihr zu, wie sie sich setzte und
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