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Kindspech: Tannenbergs achter Fall

Kindspech: Tannenbergs achter Fall

Titel: Kindspech: Tannenbergs achter Fall
Autoren: Bernd Franzinger
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prompt die Antwort zurück.
    Gut einstudiert, wie auf Knopfdruck abrufbar, dachte Tannenberg. Du musst unbedingt cool bleiben, mischte sich seine innere Stimme ein. Du darfst ihn nicht weiter provozieren!
    »Aha«, entgegnete er deshalb so neutral wie irgend möglich.
    »Mir ist durchaus bekannt, wie sehr Sie hier im Westen unseren Staat gehasst haben. Und wissen Sie auch, warum Sie das getan haben und auch weiterhin tun werden?« Ohne eine Antwort abzuwarten, schob er geschwind nach: »Weil unser sozialistisches System Sie mit den unsozialen Schattenseiten Ihres angeblich so überlegenen Kapitalismus konfrontiert hat. Aber glauben Sie mir: Die Zeit für eine neue sozialistische Revolution wird kommen – und zwar schon sehr bald.«
    Deine politische Meinung interessiert mich nicht die Bohne. Ich muss mehr Informationen aus dir rausholen, legte Tannenberg in Gedanken seine weitere Strategie fest.
    » Warum haben Sie Emma entführt?«, fragte er mit betonten und gedehnten Worten.
    Jens Rombach schien diese Frage nicht registriert zu haben, denn er blieb weiter bei seinem Thema: »Ihr habt doch alle überhaupt keine Ahnung, wie es bei uns wirklich war. Ich dagegen kann es sehr gut beurteilen. Ich war nämlich Insider. Ich habe an den Schaltstellen der Macht gesessen. Mein Adoptivvater war hoher SED-Funktionär und ich ranghoher Offizier unserer Nationalen Volksarmee.«
    Tannenberg ereilte ein plötzlicher Geistesblitz, den er nicht für sich behalten konnte: »Das ist wohl die Erklärung dafür, weshalb uns die Damen im Rostocker Standes- und Jugendamt Ihre Existenz verschwiegen haben.«
    Jens reckte drohend den Zeigefinger: »Passen Sie ganz genau auf, was ich jetzt sage: Sie werden es nicht glauben, aber im Gegensatz zu Ihrem Einzelkämpfer-System existiert im Osten nach wie vor ein starker Zusammenhalt unter den ehemaligen Volksgenossen. Auch nach dieser Scheiß-Wende, die nur eine Wende zum Schlechteren war.«
    Von diesen kritischen Einlassungen unbeeindruckt, wiederholte der Kriminalbeamte wortwörtlich die kurz zuvor schon einmal gestellte Frage: »Warum haben Sie Emma entführt?«
    »Na, warum wohl?«, gab Jens mit einem hämischen Grinsen zurück. »Weil sie ein adäquates Druckmittel für die Durchsetzung meiner Interessen ist, wie es eure Politiker und Lobbyisten nennen würden. Ein hervorragendes Druckmittel sogar. Das müssen Sie doch wirklich zugeben. Schließlich würden Sie alles für sie tun, nicht wahr?«
    Tannenberg nickte mit zusammengepressten Lippen. »Aber wieso das alles?«, keuchte er. »Ich verstehe Ihr Motiv nicht.«
    Jens krauste demonstrativ die Stirn und zog abschätzig die Mundwinkel nach oben. »Sie verstehen das nicht, Herr Hauptkommissar?«, höhnte er. »Sie enttäuschen mich aber gewaltig. Wo bleibt denn Ihre Fantasie? Stellen Sie sich doch einfach mal Folgendes vor: Ihr ganzes Leben über spüren Sie«, er hämmerte sich mit der Faust auf die linke Brust, »hier tief drinnen in Ihrem Herzen, dass Ihnen etwas ganz Entscheidendes fehlt. Teile Ihrer Existenz, die zu Ihnen gehören, wie Ihre Arme und Beine. Und zwar beide! Im Alter von drei Jahren wurde ich amputiert. Man hat mir meine beiden eineiigen Brüder geraubt.«
    »Ja, aber dafür kann ich doch nichts. Es war schließlich Ihr System, das Sie und Ihren Bruder durch Zwangsadoptionen auseinandergerissen hat.«
    »Nein, nein, das war nicht die eigentliche Ursache für diesen barbarischen Trennungsakt: Ihr imperialistischer Kapitalismus hat uns unserer Mutter und unseres dritten Bruders beraubt.«
    »Aber das erklärt noch lange nicht Emmas Entführung«, versetzte der Kriminalbeamte.
    »Doch, natürlich«, brüllte Jens Rombach mit sich überschlagender Stimme. »Sie können es eben nicht verstehen. Dazu müssten Sie einen Zwillingsbruder haben. Und ich hab zwei davon. Eineiige Zwillinge haben ein sehr enges Verhältnis zueinander, auch über große Distanzen hinweg. Man kann sie zwar räumlich trennen, aber nicht die Einheit ihrer Seelen. Seit ich denken kann, war ich unruhig, nie zufrieden, immer auf der Suche nach irgendetwas. Inzwischen weiß ich endlich, wonach: nach meinen beiden Brüdern – obwohl ich gar nicht wusste, dass es sie überhaupt gibt. Komisch, nicht wahr?«
    »Wann haben Sie eigentlich erfahren, dass Sie zwei Zwillingsbrüder haben?«, wollte Tannenberg wissen.
    Jens lachte. »Das war reiner Zufall. Im Internet bin ich irgendwann auf einen Bericht über spektakuläre Kriminalfälle gestoßen. Und was sehe ich da
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