Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kinderfrei

Kinderfrei

Titel: Kinderfrei
Autoren: Nicole Huber
Vom Netzwerk:
die Eltern verheiratet oder auch »nur« zusammen sind und ob es sich um gemeinsame oder nicht gemeinsame Kinder eines Paares handelt. Der ausdrückliche Schutz dieser »Kern-« oder auch »Kleinfamilie« beruht darauf, dass sie nach Ansicht des Verfassungsgebers das ideale Umfeld für das Heranwachsen von Kindern ist, ohne die auf Dauer keine staatliche Gemeinschaft existieren kann.
    Vielleicht sollte die Vorschrift dann allerdings treffender lauten: »Die Kleinfamilie steht unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung«, oder noch besser: »Die Beziehung zwischen Eltern und ihren minderjährigen Kindern steht unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung«. Denn wenn nur die Gemeinschaft zwischen Eltern und minderjährigen Kindern als Familie gilt: Welches Verhältnis besteht dann zwischen Eltern und ihren bereits erwachsenen Kindern? Zwischen Oma und Enkel? Zwischen Schwiegersohn und Schwiegermutter? Zwischen erwachsenen Geschwistern? Mein Lebensgefährte zum Beispiel hat neun Geschwister und etliche Nichten und Neffen. Sind sie nicht seine Familie? Das hätte immerhin den Vorteil, dass wir uns nicht mehr so viele Geburtstage merken müssen …
    Doch zurück zu unserem Artikel 6 GG. Nachdem wir geklärt haben, wer geschützt werden soll, stellt sich die Frage, worin nun eigentlich genau dieser viel beschworene »Schutz« besteht. Ähnlich wie bei anderen Grundrechten auch gestaltet sich der Schutz von Ehe und Familie einerseits als Abwehrrecht gegen staatliche Eingriffe und andererseits als Verpflichtung des Staates, die ungehinderte Wahrnehmung des Rechts zu gewährleisten. So ist es in Bezug auf die Ehe etwa »Aufgabe des Staates, alles zu unterlassen, was die Ehe beschädigt oder sonst beeinträchtigt, und sie durch geeignete Maßnahmen zu fördern.« 5
› Hinweis
Das klingt, unvoreingenommen betrachtet, ganz gut, aber wir sollten uns keinen Illusionen hingeben: Nur weil sich der Schutz von Ehe und Familie in der illustren Gesellschaft unserer kostbaren Freiheitsrechte befindet, handelt es sich noch lange nicht um eine demokratische Errungenschaft. Im Gegenteil. Unser Konzept von Ehe und Familie fußt ursprünglich auf zutiefst reaktionären Vorstellungen, die sich nicht allzu sehr von denen eines ultrakonservativen muslimischen Vaters unterscheiden, der im Namen einer fragwürdigen »Familienehre« einen ganz und gar unehrenhaften Mord an seiner Tochter begeht. Denn historisch gesehen war die Ehe in erster Linie ein Instrument, um dem Mann den Zugriff auf die Sexualität und damit Fortpflanzungsmöglichkeit sowie den Besitz der Frau zu sichern. Der pater familias hatte uneingeschränkte Gewalt über die Mitglieder seines Haushalts, und der »Schutz« von Ehe und Familie durch den Staat bestand auch noch in der Bundesrepublik lange Zeit darin, diese männliche Vormachtstellung aufrechtzuerhalten, wobei Frauen und Kinder unter dem Vorwand der »Nichteinmischung« mehr oder weniger der Willkür des Ehemanns und Vaters (bzw. im Falle von Kindern der Willkür der Eltern generell) ausgeliefert wurden. So wurde erst 1997 die Vergewaltigung in der Ehe endlich strafbar – und dann auch nur auf Antrag. Erst 2004 wurde sie zu einem Offizialdelikt, d. h. zu einer Straftat, die auch ohne Antrag des Opfers strafrechtlich zu verfolgen ist. Erst im Jahr 2000 wurde das elterliche Züchtigungsrecht abgeschafft und ein Recht des Kindes auf gewaltfreie Erziehung gesetzlich verankert (§ 1631 II BGB). Und auch heute noch bekommen Missbrauchsopfer oder misshandelte Frauen, die sich zur Wehr setzen wollen, immer wieder zu hören, sie würden »die Familie zerstören«.
    Das ist eben das Problem, wenn man statt des Individuums und seiner Rechte ein Konzept oder eine Institution unter Schutz stellt. So etwas entwickelt rasch eine unerfreuliche Eigendynamik, und plötzlich ist »das Vaterland« wichtiger als Wohl und Wehe der einzelnen Bürger, ist »die Ehe« wichtiger als Freiheit und Selbstbestimmung der jeweiligen Ehepartner, ist »die Familie« wichtiger als die Rechte der einzelnen Familienmitglieder.
    Nun haben wir ja in dieser Beziehung erhebliche Fortschritte gemacht. Unser heutiges Verständnis von Ehe und Familie ist ein modernes, das auf dem Grundgedanken der Gleichberechtigung beruht und auch die Rechte von Kindern berücksichtigt. Und auch eine Scheidung ist heute quasi eine reine Formsache und vor allem kein gesellschaftliches Stigma mehr – auch wenn ich es eigentlich immer wieder erstaunlich finde,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher