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Kinderfrei

Kinderfrei

Titel: Kinderfrei
Autoren: Nicole Huber
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besonderen Schutz der staatlichen Ordnung« (Art. 6 I GG). Unter dem besonderen Schutz wohlgemerkt, während beispielsweise die UN-Menschenrechtserklärung nur davon spricht, dass Familien Anspruch auf den »Schutz« der Gemeinschaft haben (Art. 16 III). So sind wir Deutschen nun mal. Immer ein bisschen besser, ein bisschen effektiver, ein bisschen genauer als die anderen.
    Diesen Artikel 6 GG sollten wir einmal genauer unter die Lupe nehmen, muss er doch als Rechtfertigung für viele der Absurditäten herhalten, die in diesem Buch angesprochen werden. Also: Was wird hier eigentlich geschützt und warum?
    Konzentrieren wir uns zuerst auf das »Was«. Da hätten wir zum einen die Ehe. Die Institution der Ehe wird geschützt, weil sie als wichtige Vorstufe zu Familie verstanden wird. In der Weimarer Reichsverfassung wurde dieser Schutzgrund noch ausdrücklich erwähnt. In Art. 119 I hieß es dort: »Die Ehe steht als Grundlage des Familienlebens und der Erhaltung und Vermehrung der Nation unter dem besonderen Schutz der Verfassung.«
    Diese Funktion der Ehe als Vorstufe und Grundlage der Familiengründung spiegelt sich in der Definition der Ehe durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wider, der zufolge unter einer Ehe die »auf Dauer angelegte, in der rechtlich vorgesehenen Form geschlossene, grundsätzlich unauflösliche Lebensgemeinschaft von Mann und Frau« zu verstehen ist. Gleichgeschlechtliche Paare können zwar seit einigen Jahren eine »Lebenspartnerschaft« eingehen, die der Ehe in der Ausgestaltung von Rechten und Pflichten in vielen Bereichen ähnelt, aber eben keine Ehe schließen. Diese bleibt weiterhin eine Sache zwischen Männlein und Weiblein, denn nur innerhalb einer heterosexuellen Beziehung ist eine Schwängerung nicht von vornherein biologisch ausgeschlossen.
    Nun bringt ja beileibe nicht jede Ehe Kinder hervor oder ist auch nur – Stichwort: kinderfreie Paare – auf Kinder ausgerichtet. Doch auch die kinderlose Ehe steht unter dem besonderen Schutz des Staates. Der Grund hierfür liegt, »insbesondere wenn man sie getrennt vom Schutz der Familie betrachtet, in der auf Dauer übernommenen, auch rechtlich verbindlichen Verantwortung für den Partner« 1
› Hinweis
. Angesichts dieser beiden Begründungen – Vorstufe zur Familiengründung und auf Dauer übernommene rechtlich verbindliche Verantwortung für den Partner – drängt sich die ketzerische Frage auf, inwieweit der besondere Schutz der Ehe eigentlich überhaupt noch gerechtfertigt ist. Denn da heutzutage außereheliche Geburten nicht gerade selten und zudem gesellschaftlich voll akzeptiert sind, ist die Ehe keine notwendige Vorstufe zur Familiengründung mehr. Und wenn aus einer Ehe Kinder hervorgehen, ist dies in erster Linie Gegenstand des vom Schutz der Ehe unabhängigen verfassungsrechtlichen Schutzes der Familie. 2
› Hinweis
Aber auch mit der sich aus ihrer Dauerhaftigkeit ergebenden »Stabilitätsgewähr« 3
› Hinweis
der Ehe ist es nicht mehr sonderlich weit her, führt man sich vor Augen, dass etwa jede dritte Ehe in Deutschland mit einer Scheidung endet. 4
› Hinweis
Soweit zur Ehe.
    Die zweite Lebensform, die laut Artikel 6 GG besondere Schutzbedürftigkeit verdient, ist die Familie. Ein unbedarfter Betrachter mag sich zunächst ein wenig wundern, warum die Familie als solche überhaupt des verfassungsrechtlich garantierten staatlichen Schutzes bedarf. Schließlich ist jeder Mensch zwangsläufig Teil einer Familie, jeder von uns ist zumindest der Sohn oder die Tochter von irgendjemandem, und im Gegensatz etwa zur Meinungsfreiheit könnte kein Staat der Welt an dieser simplen Tatsache etwas ändern. Obendrein stehen die meisten von uns noch in vielfältigen anderen familiären Beziehungen: zu Geschwistern, Tanten, Onkeln, Cousins, Cousinen, Nichten und Neffen, Enkeln – ganz zu schweigen von der angeheirateten Verwandtschaft. Sollten wirklich all diese Beziehungen unter dem besonderen Schutz des Staates stehen?
    Das wäre in der Tat ein allzu ausufernder Schutzbereich. Und deshalb bilden im Sinne des Grundgesetzes Ihre kleine Tochter und deren heiß geliebter Opa ebenso wenig eine Familie wie Sie und Ihre Lieblingsschwester. Als Familie gilt rechtlich nur die Gemeinschaft von Eltern und ihren (minderjährigen!) Kindern. Diese sogenannte »faktische« Auslegung des Begriffs Familie hat also nichts mit der ganzen Sippe zu tun, sondern beschränkt sich auf die »Kernfamilie«, und das unabhängig davon, ob
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