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Kind der Prophezeiung

Kind der Prophezeiung

Titel: Kind der Prophezeiung
Autoren: David Eddings
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sehe.«
    »Ich werde dich nicht zu Boden werfen, Martje«, sagte Tante Pol. »Ich werde dir im Gegenteil ein Geschenk machen.« Sie hob ihre Hand zu einer knappen, seltsamen Geste.
    Garion sah genau, wie es geschah, und so hatte er später keine Möglichkeit, sich einzureden, es wäre alles nur eine optische Täuschung gewesen. Er blickte direkt in Martjes Gesicht und sah, wie der weiße Film von ihren Augen rann, wie Milch am Rande eines Glases herunterrinnt.
    Die alte Frau stand wie erstarrt, als das helle Blau ihrer Augen unter dem Schleier zum Vorschein kam, der ihre Augen bedeckt hatte. Dann schrie sie. Sie hob die Hände, sah sie an und schrie wieder. In ihrem Schrei lag der schmerzliche Ton eines unbeschreiblichen Verlustes.
    »Was hast du getan?« fragte Königin Islena.
    »Ich habe ihr das Augenlicht zurückgegeben«, antwortete Tante Pol, setzte sich wieder und strich ihren Pelz zurecht.
    »Das kannst du tun?« fragte Islena, blaß und mit schwacher Stimme.
    »Du nicht? Es ist eigentlich ganz einfach.«
    »Aber«, wandte Königin Porenn ein, »wenn sie ihr Augenlicht wieder hat, dann verliert sie dieses andere Gesicht, nicht wahr?«
    »Ich denke schon«, sagte Tante Pol, »aber ist das nicht ein geringer Preis dafür?«
    »Dann wird sie also keine Hexe mehr sein?« drängte Porenn.
    »Sie war sowieso keine sehr gute Hexe«, sagte Tante Pol. »Ihre Visionen waren verschwommen und ungewiß; so ist es besser. Sie wird sich und andere nicht länger mit diesen Schatten plagen.« Sie sah König Anheg, der starr vor Schrecken dasaß, und seine halb bewußtlose Königin an. »Sollen wir weiterfahren?« fragte sie ruhig. »Unser Schiff wartet.«
    Wie durch ihre Worte befreit, jagten die Pferde vorwärts, und die Schlitten fuhren in einer Schneewolke davon.
    Garion warf einen Blick zurück. Die alte Martje stand auf den Stufen des Tempels, sah auf ihre ausgestreckten Hände und schluchzte hemmungslos.
    »Wir hatten das Glück, ein Wunder zu sehen, meine Freunde«, sagte Hettar.
    »Aber ich habe den Eindruck, daß die Empfängerin nicht sehr davon angetan ist«, meinte Silk trocken. »Erinnert mich daran, daß ich Polgara nicht beleidige. Ihre Wunder scheinen zweischneidig zu sein.«

21
    D ie schrägen Strahlen der Morgensonne glitzerten auf dem eisigen Wasser des Hafens, als ihre Schlitten vor den steinernen Kais hielten. Greldiks Schiff zerrte und ruckte an den Tauen, und ein kleineres Schiff daneben wartete ebenfalls ungeduldig. Hettar stieg aus und ging, um mit Cho-Hag und Königin Silar zu reden. Die drei sprachen leise und ernsthaft miteinander und errichteten dabei eine Art Mauer der Vertraulichkeit um sich herum.
    Königin Islena hatte ihre Fassung teilweise wiedererlangt. Mit etwas gezwungenem Lächeln saß sie aufrecht in ihrem Schlitten. Nachdem Anheg zu Meister Wolf hinübergegangen war, um mit ihm zu reden, kam Tante Pol über den vereisten Landungssteg und blieb dicht vor dem Schlitten der Königin von Cherek stehen.
    »Wenn ich du wäre, Islena«, sagte sie fest, »würde ich mir ein anderes Hobby suchen. Deine Talente auf dem Gebiet der Zauberei sind begrenzt, und es ist ein gefährliches Terrain. Man darf nicht darin herumpfuschen. Zuviel kann schiefgehen, wenn man nicht weiß, was man tut.«
    Die Königin starrte sie schweigend an.
    »Oh«, sagte Tante Pol, »und noch etwas. Ich glaube, es wäre das Beste, wenn du deine Verbindungen zum Bärenkult abbrächest. Es ist kaum angebracht für eine Königin, mit den politischen Feinden ihres Mannes Umgang zu haben.«
    Islenas Augen wurden groß. »Weiß Anheg davon?« fragte sie ängstlich.
    »Es würde mich nicht wundern«, erwiderte Tante Pol. »Er ist viel schlauer, als er aussieht, weißt du. Du stehst sehr kurz vor dem Verrat. Du solltest dir ein paar Kinder anschaffen. Dann könntest du etwas Sinnvolles mit deiner Zeit anfangen und dir Ärger ersparen. Das ist natürlich nur ein Vorschlag, aber vielleicht denkst du einmal darüber nach. Ich habe unseren Besuch hier genossen, meine Liebe. Danke für deine Gastfreundschaft.« Damit drehte sie sich um und Silk pfiff leise. »Das erklärt einiges«, sagte er.
    »Erklärt was?« fragte Garion.
    »Der Hohepriester von Belar hat sich in letzter Zeit in cherekische Politik eingemischt. Er ist offenbar weiter in den Palast vorgedrungen, als ich dachte.«
    »Die Königin?« fragte Garion erstaunt.
    »Islena ist besessen von Magie«, sagte Silk. »Die Bärenkultisten stümpern mit gewissen Ritualen herum, die
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