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Ketzer

Ketzer

Titel: Ketzer
Autoren: Stephanie Parris
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in ihren jeweiligen Sphären. Daneben gab es Männer wie den Polen Kopernikus, der es wagte, sich das Universum anders vorzustellen
 – mit der Sonne als Mittelpunkt und einer sich in ihrer eigenen Umlaufbahn bewegenden Erde. Weiter war noch niemand gegangen, noch nicht einmal in seiner Fantasie – niemand außer mir, Giordano Bruno dem Nolaner, und diese geheime Theorie, kühner als alle, die jemals formuliert worden waren, war nur mir allein bekannt: dass das Universum keinen fixen Mittelpunkt hätte, sondern sich in die Unendlichkeit erstrecke, und dass jeder Stern in der samtschwarzen Dunkelheit über mir seine eigene, von eigenen unzähligen Welten umgebene Sonne wäre. Vielleicht betrachteten irgendwo dort oben Geschöpfe wie ich ebenfalls den Himmel und fragten sich, ob hinter den Grenzen ihres Wissens noch mehr existierte.
    Eines Tages würde ich all dies in einem Buch zusammenfassen, meinem Lebenswerk; einem Buch, das so an den Grundpfeilern des Christentums rütteln würde wie einst Kopernikus’ De Revolutionibus Orbinum Coelestium  – nein, stärker noch, es würde nicht nur sämtliche noch bestehenden wissenschaftlichen Zweifel der römischen Kirche, sondern der ganzen christlichen Religion ausräumen. Aber es gab noch so viel, was ich lernen und begreifen, so viele Bücher, die ich lesen müsste … Bücher über Astrologie und uralte Magie, die alle von den Dominikanern verboten worden waren und die ich in der Bibliothek von San Domenico Maggiore nicht finden würde. Ich wusste, dass mir, wenn ich mich vor der Heiligen Inquisition verantworten müsste, all dies mit glühenden Zangen, auf dem Streckbett oder dem Rad entrissen werden würde, bis ich meine unausgegorenen Hypothesen vor meinen Peinigern auf den Boden kotzen und dafür als Ketzer verbrannt werden würde. Ich war achtundzwanzig Jahre alt, ich wollte noch nicht sterben. Mir blieb keine andere Wahl als die Flucht.
    Es war kurz nach der Komplet, die Mönche von San Domenico zogen sich für die Nacht zurück. Ich stürmte in die Zelle, die ich mir mit Bruder Paolo aus Rimini teilte. Die meinem Haar und meiner Kutte entströmende nächtliche Kühle breitete sich in dem winzigen Raum aus, während ich meine wenigen
Habseligkeiten in fieberhafter Eile in eine Ölzeugtasche stopfte. Paolo hatte in Gedanken versunken auf seinem Strohsack gelegen, als ich die Tür aufgerissen hatte; jetzt stützte er sich auf einen Ellbogen und beobachtete bestürzt mein hektisches Tun. Wir waren beide mit siebzehn als Novizen ins Kloster eingetreten, und jetzt, gut elf Jahre später, war er der Einzige, den ich als Bruder im wahrsten Sinne des Wortes betrachtete.
    »Sie haben nach dem Vater Inquisitor geschickt«, erklärte ich atemlos. »Ich darf keine Zeit verlieren.«
    »Du hast schon wieder die Komplet verpasst. Ich habe dich gewarnt, Bruno.« Paolo schüttelte den Kopf. »Wenn du jeden Abend so viele Stunden auf dem Abtritt verbringst, werden die Mönche Verdacht schöpfen. Bruder Tomasso hat jedem erzählt, du littest an einer unangenehmen Magen-Darm-Krankheit – und ich meinte, es würde nicht lange dauern, bis der Schnüffler Montalcino herausfindet, was du da wirklich treibst, und den Abt davon in Kenntnis setzt.«
    »Es war doch nur Erasmus, um Himmels willen«, versetzte ich gereizt. »Ich muss so schnell wie möglich aufbrechen, Paolo, ehe sie mich verhören. Hast du meinen Winterumhang gesehen?«
    Paolos Gesicht wurde plötzlich ernst. »Bruno, du weißt, dass es einem Dominikaner bei Strafe der Exkommunikation verboten ist, seinen Orden zu verlassen. Wenn du fortläufst, werden sie es als Geständnis werten und dich per Haftbefehl suchen lassen. Du wirst als Ketzer verurteilt!«
    »Und wenn ich hierbleibe, erwartet mich dasselbe Schicksal«, gab ich zurück. »In absentia wird es allerdings weniger unangenehm werden.«
    »Aber wo willst du hin? Wovon willst du leben?« Mein Freund wirkte so besorgt, dass ich mit meiner Suche innehielt und ihm eine Hand auf die Schulter legte.
    »Ich werde nachts reisen, und ich werde singen und tanzen und um Brot betteln, wenn es sein muss, und wenn genug Meilen zwischen mir und Neapel liegen, werde ich meinen Lebensunterhalt als Lehrer verdienen. Ich habe letztes Jahr meinen
Doktor der Theologie gemacht – und in Italien gibt es viele Universitäten.« Ich versuchte, unbekümmert und zuversichtlich zu klingen, in Wahrheit schlug mir freilich das Herz bis zum Hals, und meine Eingeweide drohten sich in Wasser
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