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Ketzer

Ketzer

Titel: Ketzer
Autoren: Stephanie Parris
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schlang die Arme um mich und schlug mir noch einmal kräftig auf den Rücken. Uns verband eine kuriose Freundschaft, sinnierte ich, während ich seine Umarmung nach Atem ringend erwiderte. Unser sozialer Hintergrund hätte nicht verschiedener sein können – er entstammte einer der ersten Familien des englischen Hofes, woran er mich ständig zu erinnern pflegte –, aber in Padua hatten wir auf Anhieb festgestellt, dass
wir beide die Gabe besaßen, den anderen zum Lachen zu bringen, was an diesem ernsten, oft düsteren Ort wie ein belebender Sonnenstrahl gewirkt hatte. Auch jetzt noch, nach sechs Jahren, fühlte ich mich in seiner Gesellschaft weder linkisch noch unbehaglich. Wir waren augenblicklich wieder in unsere alte Gewohnheit verfallen, uns gegenseitig zu necken.
    »Komm, Bruno.« Sidney legte mir einen Arm um die Schultern und führte mich über den Rasen zum Kai hinunter. »Bei Gott, es tut gut, dich wiederzusehen. Ohne dich wäre diese Reise nach Oxford unerträglich. Hast du schon von diesem polnischen Prinzen gehört?«
    Ich schüttelte den Kopf. Sidney verdrehte die Augen.
    »Nun, du wirst ihn früh genug kennen lernen, den durchlauchtigsten Palatin Albert Laski – einen polnischen Würdenträger mit zu viel Geld und zu wenigen Pflichten, der seine Zeit damit verbringt, die Höfe Europas mit seinen Besuchen zu belästigen. Er sollte von hier aus nach Paris reisen, allerdings gestattet ihm König Henri von Frankreich die Einreise in sein Land nicht, so ruht die Last, ihn zu unterhalten, noch ein wenig länger auf den Schultern Ihrer Majestät. Daher macht man auch um unsere Abreise ein solches Gewese – alle sind froh, ihn loszuwerden.« Er winkte in Richtung der Barke, dann blickte er sich flüchtig um, um sich zu vergewissern, dass uns niemand zuhörte. »Ich kann es dem französischen König nicht verdenken, dass er sich Laskis Besuch verbeten hat, der Mann geht nämlich selbst seinen geduldigsten Mitmenschen innerhalb kürzester Zeit entsetzlich auf die Nerven. Trotzdem ist es eine reife Leistung  – ich für meinen Teil kann mich auf eine oder zwei Schänken besinnen, die ich nicht mehr betreten darf, aber gleich aus einem ganzen Land verbannt zu werden zeugt fraglos von einem beachtlichen Talent, sich unbeliebt zu machen. Über das Laski im Übermaß verfügt, wie du sehen wirst. Doch ich denke, wir beide werden uns dennoch in Oxford eine schöne Zeit machen – du wirst die hirnlosen Schwachköpfe mit deinen fortschrittlichen Ideen in Erstaunen versetzen, und ich freue mich darauf, mich
in deinem Ruhm zu sonnen und dir meine alten Jagdgründe zu zeigen.« Er knuffte mich freundschaftlich in den Arm. »Bedauerlicherweise dient diese Reise nicht allein unserem Vergnügen, wie du ja weißt«, fügte er mit gedämpfter Stimme hinzu.
    Wir standen Seite an Seite am Ufer und blickten über den Fluss hinweg, auf dem es von kleinen Schiffen, Lastkähnen und weißen Segelbooten wimmelte, die über das schimmernde Wasser glitten. Die Frühlingssonne fiel auf die Fassaden der hübschen Ziegel- und Holzgebäude, die sich am gegenüberliegenden Ufer aneinanderreihten. Weit im Norden ragte der große Turm von St. Paul’s über den Dächern auf. Was für eine wundervolle Stadt London doch war, dachte ich bei mir, und wie glücklich ich mich schätzen konnte, hier sein zu dürfen, und noch dazu in solch erlesener Gesellschaft. Sidneys Stimme riss mich aus meiner Versunkenheit.
    »Ich habe etwas von meinem zukünftigen Schwiegervater für dich – von Sir Francis Walsingham«, flüsterte er, den Blick immer noch auf den Fluss geheftet. »Da siehst du, was mir der Ritterstand eingetragen hat, Bruno – ich muss Botengänge für dich ausführen.« Er streckte sich, sah sich um und schützte mit einer Hand seine Augen vor der blendenden Sonne, als er zum Anlegeplatz unserer Barke hinüberspähte. Erst nachdem er die Lage sondiert hatte, öffnete er die Tasche aus Öltuch, die er bei sich trug, und entnahm ihr eine prall gefüllte Lederbörse. »Walsingham schickt dir dies. Dir könnten im Rahmen deiner Nachforschungen einige Ausgaben entstehen. Betrachte es als Vorschusszahlung.«
    Sir Francis Walsingham, Königin Elisabeths erster Staatssekretär, dem ich die Teilnahme an dieser Reise zu verdanken hatte – allein die Erwähnung seines Namens jagte mir einen Schauer über den Rücken.
    Wir entfernten uns ein Stück von der Menge, die die Blumen bestaunte, mit denen unsere Barke jetzt bestreut wurde.
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