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Ketzer

Ketzer

Titel: Ketzer
Autoren: Stephanie Parris
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anderen Platz suchen, Bruno«, bat er ruhig. »Ich mische mich nicht gerne unter Leute, die sich aufführen, als wäre dies ein Jahrmarkt.«
    »Ich wäre viel lieber überhaupt nicht hier«, bekannte ich, nachdem wir ein Stück von der Gruppe junger Männer abgerückt waren.
    »Walsingham bestand darauf, dass du dich hier einfindest. Er hält es für wichtig, jeden Aspekt unserer Arbeit kennen zu lernen. Wer kämpft, dem bleiben grausige Anblicke nicht erspart, und wir sind keine kleinen Jungen, die Soldat spielen. Unser Kampf ist real, und die Folgen sind blutig.« Er drehte sich um
und musterte mich ernst. »Diese Hinrichtung ist dein Triumph, Bruno. Walsingham ist sehr zufrieden mit dir.«
    »Mein Triumph«, wiederholte ich dumpf, als sich aus den Reihen der Menge ein Schrei erhob und sich alle auf die Zehenspitzen stellten, um die Ankunft des Gefangenen mitzuverfolgen.
    Es war schon fast vollständig hell, als zwei schwarze Pferde in der Lücke zwischen dem Schafott und der vordersten Reihe der Schaulustigen auftauchten. Im selben Moment stürmte eine Gruppe von Frauen vor, um Rosen und Lilien, die Blumen des Märtyrertums, in den Weg der Tiere zu streuen. Die Wächter richteten ihre Piken auf alle, die sich zu weit vordrängten und den Fortgang des Spektakels zu behindern drohten. Wie auf ein Stichwort hin zog sich die Menge langsam zurück, das Stimmengewirr verstummte, und nur noch der leise Hufschlag der Pferde war zu hören. Das Holzgestell, das sie hinter sich herzogen, grub tiefe Furchen in den feuchten Boden. Ich stellte mich in den Steigbügeln auf und beugte mich vor. Bei dem Anblick, der sich mir bot, krampfte sich mein Magen zusammen.
    Jerome Gilbert war mit den Füßen nach oben und mit über der Brust gekreuzten Armen an dem Gestell festgebunden. Sein Kopf berührte fast den Boden, sodass sein Gesicht und sein Haar mit Schlamm bespritzt wurden. Vor dem Galgen machten die Pferde Halt, und zwei Männer traten vor, um Jerome loszubinden. Er sank schlaff wie die Lumpenpuppe eines Kindes zu Boden, woraufhin ihn die Männer unter den Achseln packten und zwischen sich auf den Karren hievten. Er trug nur sein Unterhemd und seine Hose, aber als er unter dem erwartungsvollen Raunen der Menge in die Höhe gezerrt wurde, griff er in sein Hemd und zog ein Taschentuch heraus, um sich den gröbsten Schmutz vom Gesicht zu wischen. Ich zuckte zusammen, als ich sah, dass sein linkes Auge so blaurot angelaufen und geschwollen war, dass er es nicht öffnen konnte. Mit seinem gesunden Auge jedoch blickte er suchend über die Menge hinweg, bevor er das Taschentuch in die Luft warf, wo es geschickt von
einem grauhaarigen Mann mit bekümmerter Miene aufgefangen wurde, der ganz vorne in den Reihen stand.
    »Behalte den Burschen dort im Auge«, flüsterte Sidney mir zu. »Höchstwahrscheinlich ist er ebenfalls ein Jesuit oder ein Sympathisant, der gekommen ist, um Gilbert in seiner letzten Stunde Trost zu spenden. Gilbert hat ihm sein Taschentuch absichtlich zugeworfen.«
    »Sollen wir ihm folgen?«, fragte ich voller Unbehagen. Sidney schüttelte den Kopf.
    »Walsingham hat Männer unter die Menge gemischt, die all die beschatten, die versuchen, hinterher ein Stück seiner Kleider als Reliquie zu ergattern.« Er brach abrupt ab. Jerome wurde in die Höhe gehalten, während der Henker in den Karren kletterte und ihm die Schlinge um den Hals legte, ehe er sie an dem Querbalken befestigte und überprüfte, ob sie fest saß. Ich begriff, dass ihn die beiden Männer auch jetzt noch festhielten, weil er sich aus eigener Kraft nicht aufrecht halten konnte. Ergrimmt biss ich die Zähne zusammen. Sie mussten ihn so grausam gefoltert haben, dass er seine Beine nicht mehr zu gebrauchen vermochte. »Was haben sie mit seinen Händen gemacht?«, fragte ich Sidney leise, dabei deutete ich auf die Masse geronnenen Blutes, als Jerome schwach eine Hand hob, um zu versuchen, sich sein verklebtes Haar aus der Stirn zu streichen.
    »Die Fingernägel herausgerissen«, erwiderte Sidney gepresst. Sein Gesicht verriet nicht, was in ihm vorging.
    Ein korpulenter, in die königlichen Farben gekleideter Mann trat auf das Schafott und entfaltete einen Pergamentbogen.
    »Jerome Gilbert, Jesuit«, deklamierte er mit klarer Stimme, die bis zum hinteren Rand der Menge zu vernehmen war. »Ihr seid für schuldig befunden worden, vier Morde begangen zu haben. Ferner habt Ihr versucht, die Untertanen der Königin zur Abkehr von ihr zu bewegen, und Euch in
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