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Ketzer

Ketzer

Titel: Ketzer
Autoren: Stephanie Parris
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preisgeben.«
    »Ich denke, das wird nicht nötig sein.« Ich fühlte mich wegen seiner kaltherzigen Worte über Sophia noch immer zutiefst abgestoßen. »Die Namen der größten Übeltäter sind bereits bekannt.«
    Der Rektor betrachtete mich, während er nach dem Türknauf griff.
    »Ihr taugt nicht für dieses Geschäft, Doktor Bruno. Ihr bringt für Eure Mitmenschen zu viel Mitgefühl auf. Ich weiß, dass Ihr gelogen habt, um meiner Tochter einen öffentlichen Prozess zu ersparen. Auch ich hätte die ganzen Katholiken hier schon vor Jahren anzeigen können, aber ich dachte, wir würden schon miteinander auskommen. Jetzt begreife ich, dass man keine Skrupel haben darf, und Skrupellosigkeit liegt nicht im Charakter von Männern wie uns. In dieser Hinsicht seid Ihr wie ich«, fügte er mit einem Anflug von Befriedigung hinzu.
    »Nein, Sir«, widersprach ich ruhig, als er mir die Tür aufhielt. »Ich bin ganz und gar nicht wie Ihr. Hätte ich eine Tochter, würde ich ihr niemals den Tod wünschen, nur um meine eigene Ehre zu retten.« Er machte Anstalten, Einwände zu erheben, aber ich schnitt ihm das Wort ab. »Sie ist keine Hure, sondern eine Frau mit Feuer und viel innerer Kraft, und sie verdient Eure Liebe und Euren Schutz, nicht Eure Verachtung.«
    Ich ließ ihn auf der Schwelle stehen, wo er mit offenem Mund wie ein Fisch auf dem Trockenen nach Luft schnappte, und überquerte zum letzten Mal den Hof des Lincoln. Am Torhaus drehte ich mich noch einmal um und sah Sophias Silhouette hinter dem Fenster der Wohnung des Rektors. Die Scheibe verzerrte die Konturen ihrer Gestalt, als sie zum Abschied eine Hand hob.

Epilog
    London
Juli 1583
     
    Unter einem Himmel, an dem sich kaum die ersten Streifen des neuen Tageslichtes zeigten, ritt ich von der Residenz des Botschafters in Salisbury Court in westlicher Richtung die Fleet Street entlang, fort von der Londoner Innenstadt. Ein feiner Nieselregen benetzte mein Haar und die Mähne meines Pferdes. Zum Schutz vor der Feuchtigkeit hatte ich meinen Umhang eng um mich geschlungen, und meine Brust war so zugeschnürt, als lägen Eisenbänder darum. Ich hätte auf diesen Ritt gerne verzichtet, hatte aber eine Nachricht von Walsingham erhalten, dass er fest mit meiner Anwesenheit rechne, und es für ratsam gehalten, nicht zu widersprechen. Dampfwölkchen stiegen von den Nüstern des Pferdes auf, als ich es am großen Denkmal von Charing Cross vorbei nordwärts auf die aus London heraus in das offene Land führende Straße lenkte. Hier herrschte bereits reges Getümmel; kleine Gruppen von Passanten waren zu Fuß auf dem Weg in dieselbe Richtung, schwatzten angeregt miteinander und tranken aus Lederflaschen, während Pastetenverkäufer zwischen ihnen umherhuschten und lautstark ihre Waren anpriesen. In der Nähe meines Ziels säumte eine aufgeregte Menge die Straße und wartete auf den Beginn des bevorstehenden Schauspiels. Väter hatten ihre Kinder auf die Schultern genommen, damit sie das Geschehen besser verfolgen konnten.

    An dem Ort, der Tyburn genannt wurde, war eine mannshohe Plattform errichtet worden, die gewährleistete, dass die gesamte Menge einen freien Blick hatte. Auf diesem Schafott stand der Tisch des Henkers, ein mächtiger Fleischerblock, auf dem verschiedene Messer und andere Instrumente lagen. Daneben hatte man ein Feuer entzündet, um in einem großen Kessel Wasser zu erhitzen. Die vordersten Zuschauer streckten die Hände zu den wärmenden Flammen hin, denn obwohl es Juli war, hatte die Feuchtigkeit die frühe Morgenluft abgekühlt, und die Leute stampften mit den Füßen auf und rieben sich, des Wartens überdrüssig, ungeduldig die Hände. Neben dem Schafott ragte ein Galgen auf, unter dem ein leerer Karren stand. Ich wendete das Pferd und lenkte es um die Menge herum. Ganz am anderen Ende, in der Nähe des Galgens, entdeckte ich eine Gruppe von Reitern, die etwas Abstand zu den Schaulustigen hielt, und nahm an, unter ihnen Sidney zu finden. Stadtwächter mit Piken in den Händen drängten sich durch die vorderen Reihen und machten vor dem Schafott einen Weg frei.
    Sidney befand sich tatsächlich bei der Gruppe von jungen Höflingen. Seine Gefährten schienen in Hochstimmung zu sein und unterhielten sich laut miteinander, aber er zügelte sein Pferd so fest, dass es ungeduldig auf der Stelle trat, während er den Blick mit grimmig zusammengepressten Lippen über die Menge schweifen ließ. Als er mich sah, nickte er, ohne zu lächeln.
    »Lass uns einen
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