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Keraban Der Starrkopf

Keraban Der Starrkopf

Titel: Keraban Der Starrkopf
Autoren: Jules Verne
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dem Kanonenschusse, der den Untergang der Sonne meldet, werden die Straßen mit dem Geruche gebratenen Fleisches, dem Dufte der Getränke und dem Rauche der Tschibuks und Cigaretten schon wieder das gewohnte Gesicht annehmen.«
    Die Fremdlinge mußten wohl Recht haben, denn eben rief der Wirth des Kaffeehauses einem dienstbaren Geiste zu:
    »Sorgt, daß Alles bereit ist! Nach einer Stunde werden die Fastenhalter herzuströmen, und dann weiß Einer nicht, wo er zuerst hinhören soll.«
    Da nahmen die beiden Fremden ihr Gespräch wieder auf:
    »Ich weiß es nicht, aber mir will’s scheinen, als ob Constantinopel gerade zur Zeit des Ramadan am merkwürdigsten zu sehen wäre. Wenn die Tage da traurig, widerlich und kläglich sind, wie ein Aschermittwoch, so geht’s während der Nächte desto lustiger, lauter und ausgelassener zu, wie an einem Faschings-Dienstage.
    – Ja, es ist wirklich ein greller Unterschied.«
    Und während diese Beiden ihre Gedanken austauschten, sandten ihnen wieder einige Türken ziemlich neidische Blicke zu.
    »Was sie glücklich sind, diese Fremden! meinte der Eine. Sie können trinken, essen und rauchen, wie es ihnen gefällt!
    – Gewiß, entgegnete der Andere; zur Stunde würden sie freilich weder ein Kebab von Lammfleisch, ein Pilaw von Huhn mit Reis, noch einen Baklavakuchen austreiben können – nicht einmal eine Schnitte Wassermelone oder Kürbis…
    – Weil sie die richtigen Stellen nicht kennen! Mit einigen Piastern findet man stets bereitwillige Händler, welche von Mohammed II. Dispense besitzen.
    – Bei Allah! sagte da einer der Türken, mir verdorren die Cigaretten in der Tasche, und es soll gar nicht beschworen sein, ob ich’s nicht gern auf ein paar Paras von Latakieh ankommen lasse.«
    Und auf die Gefahr hin, in Strafe genommen zu werden, holte dieser durch seine Glaubenssätze wenig genirte Gläubige eine Cigarette hervor, zündete sie an und that zwei oder drei herzhafte Züge.
    »Nimm Dich in Acht! ermahnte sein Begleiter. Wenn ein etwas orthodoxer Ulema hier vorbeikäme, so…
    – So würde ich den Rauch einfach verschlucken, und da sähe er nichts davon!« erwiderte lachend der Freidenker.
    Beide setzten ihren Spaziergang fort, schlenderten über den Platz und dann nach einer der Nachbarstraßen, welche bis nach den Vorstädten Galata und Pera hinaufführen.
    »Na, Mynheer, rief da Bruno, sich nach rechts und links umsehend, entschieden ist das eine sonderbare Stadt. Seit wir unser Hôtel verlassen, hab’ ich nur Schatten von Einwohnern, nur Phantome von waschechten Constantinopolitanern entdeckt. Alles schläft auf den Straßen, den Quais und den Plätzen, selbst die gelben, spindeldürren Hunde, die nicht einmal aufstehen, um Einen in die Waden zu beißen. Nein, gehen Sie! Was die Reisenden Einem auch vorschwatzen mögen, seh’ ich doch mehr und mehr, daß bei der Sache nichts herauskommt. Da lob’ ich mir unsere gute Stadt Rotterdam und den grauen Himmel unseres alten Holland!
    – Geduld, Bruno, Geduld! antwortete Van Mitten. Wir sind seit einigen Stunden hier angelangt. Ich gestehe indeß, daß das auch nicht das Constantinopel ist, welches ich mir vorgestellt hatte. Man bildet sich ein, in’s richtige Morgenland zu kommen, einen Traum aus Tausendundeine Nacht verwirklicht zu finden, und sieht sich dafür tief eingepfercht in…
    – In ein ungeheures Kloster, fuhr Bruno fort, versetzt unter Leute, welche ebenso griesgrämig aussehen, wie einsame Mönche in ihrer Zelle.
    – Mein Freund Keraban wird uns schon erklären, was das Alles zu bedeuten hat, antwortete Van Mitten.
    – Aber wo sind wir jetzt? fragte Bruno. Was für ein Platz und welcher Quai ist das?
    – Wenn ich nicht irre, belehrte ihn Van Mitten, befinden wir uns auf dem Top-Hane-Platze, am äußersten Ende des Goldenen Horns. Hier ist der Bosporus, der die Küste Asiens bespült, und auf der anderen Seite des Hafens kannst Du die Serailspitze sehen und die eigentliche türkische Stadt, welche sich über derselben aufbaut.
    – Das Serail! rief Bruno. Wie, der Palast des Sultans, in dem er mit seinen achtzigtausend Odalisken wohnt?
    – Achtzigtausend! Das ist viel Bruno; ich glaube, es ist zu viel – selbst für einen Türken. In Holland hat man nur eine einzige Frau, und es ist da manchmal schwierig genug, in seinen vier Pfählen auszuhalten.
    – Ja, ja, Mynheer, sprechen wir davon nicht mehr – lieber so wenig als möglich!«
    Dann wendete sich Bruno dem noch immer leeren Kaffeehause
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