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Keraban Der Starrkopf

Keraban Der Starrkopf

Titel: Keraban Der Starrkopf
Autoren: Jules Verne
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geschäftlichen Briefwechsel seit zwanzig Jahren anwendete; der Andere, weil er seinem Herrn oft als Schreibgehilfe beigetreten war, obgleich er bei diesem eigentlich nur als Diener in Lohn und Brot stand.
    Die beiden Fremden waren Holländer, gebürtig aus Rotterdam, Herr Jan Van Mitten und dessen Leibdiener Bruno, welche eigenthümliche Umstände bis zu dieser äußersten Ostmark Europas verschlagen hatten.
    Van Mitten – in der Heimat eine allbekannte Persönlichkeit – war ein Mann von fünf-bis sechsundvierzig Jahren, mit blondem Haar und himmelblauen Augen, gelblichem Backen-und Kinn-, aber mangelndem Schnurrbart, einer für die sonstige Entwicklungsstufe des Gesichts etwas zu kurz gerathenen Nase, mit ziemlich kräftigem Kopfe und breiten Schultern bei übermittlerem Wuchs, mit mäßigem Embonpoint und Beinen, welche mehr auf sicheren Stand als auf Eleganz berechnet schienen – mit einem Wort, er machte den Eindruck eines achtbaren, seinem Vaterlande zur Ehre gereichenden Staatsbürgers.
    Von Charakter schien Van Mitten freilich etwas weich zu sein. Er gehörte unbestreitbar zur Kategorie der Leute von sanfter geselliger Gemüthsverfassung, welche Wortgefechte nicht lieben, in allen Punkten gern nachgeben und weniger zum Befehlen als zum Gehorchen geschaffen sind –
     

    Die beiden Fremden waren Holländer, Herr Jan Van Mitten und dessen Leibdiener Bruno. (S. 7.)
     
    zu jenen ruhigen, schwer erregbaren Persönlichkeiten, von denen man allgemein sagt, daß sie keinen eigenen Willen haben, selbst wenn sie sich einmal einbilden, einen solchen zu besitzen. Schlechter sind sie deshalb ja keineswegs. Einmal, aber nur ein einziges Mal in seinem Leben, hatte sich Van Mitten, zum Aeußersten getrieben, in einen
     

    Die Moschee Mahmud in Constantinopel. (S. 6.)
     
    Wortwechsel eingelassen, der für ihn von ernstester Folge werden sollte. An dem betreffenden Tage war er sozusagen aus seinem Charakter ganz herausgegangen, seitdem in denselben aber wieder zurückgekehrt, wie der Mensch ja zuweilen auf’s Neue bei sich selbst Einkehr hält. Er hätte wohl auch damals besser gethan nachzugeben, und würde das zu thun gar nicht gezögert haben, wenn er ahnen konnte, was ihm die Zukunft vorbehielt. Doch es scheint unpassend, hier den Ereignissen vorzugreifen, welche sich im Verlaufe dieser Erzählung abspielen.
    »Nun, Mynheer? begann Bruno, als Beide auf den Top-Hane-Platz kamen.
    – Nun, Bruno?
    – Da wären wir also in Constantinopel.
    – Jawohl, Bruno, in Constantinopel, das heißt, viele Hundert Meilen von Rotterdam.
    – Glauben Sie endlich, fragte Bruno, daß wir uns nun weit genug von Holland befinden?
    – Ich kann davon niemals weit genug weg sein!« antwortete Van Mitten nur halblaut, als wäre Holland so nahe gewesen, um ihn hören zu können.
    Van Mitten besaß in Bruno einen unter allen Verhältnissen treu ergebenen Diener. Aeußerlich ähnelte der brave Mann einigermaßen seinem Herrn – wenigstens so weit das die, jenem gebührende Ehrerbietung gestattete – eine Folge langjährigen Beisammenseins. Während voller zwanzig Jahre hatten sie sich wohl kaum einen einzigen Tag getrennt. War Bruno im Hause auch weniger als ein Freund, so galt er doch bestimmt mehr als ein bloßer Diener. Er erfüllte seine Pflichten mit Verstand und Methode und versagte sich keineswegs, gelegentlich guten Rath zu geben, aus dem Van Mitten hätte Nutzen ziehen können, oder selbst diesem gelinde Vorwürfe zu machen, welche sein Dienstherr ohne aufzubrausen entgegennahm. Vorzüglich wurmte es ihn, daß der Letztere für die Befehle aller Welt da zu sein schien, daß er den Wünschen Anderer niemals entgegentreten konnte, kurz, daß es ihm an Charakter fast gänzlich fehlte.
    »Das wird noch Ihr Unglück sein, wiederholte er öfters, und meines natürlich mit!«
    Wir müssen hier einfügen, daß der nun vierzigjährige Bruno etwas seßhafter Natur war und Ortsveränderungen nicht leiden konnte. Strengt man sich in dieser Weise an, so setzt man damit das ruhige Gleichgewicht des Organismus in Gefahr, man nützt sich ab, wird magerer, und Bruno, der sich jede Woche einmal wiegen zu lassen pflegte, hielt darauf, von seiner stattlichen Erscheinung nichts einzubüßen. Beim Eintritt in die Dienste des Herrn Van Mitten erreichte sein Gewicht nur hundert Pfund; er war also damals von einer, für ihn als Holländer demüthigenden Magerkeit. Dank der vorzüglichen Lebensweise hatte er nach kaum einem Jahre um dreißig Pfund
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