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Keine zweite Chance

Keine zweite Chance

Titel: Keine zweite Chance
Autoren: H Coben
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strahlte der Rasen in einem Grün, wie man es sonst nur aus dem Regenwald kennt. Der Rosengarten stand in voller Blüte, es war eine wahre Farbexplosion.
    Ich wollte rasch weitergehen, aber meine Haut fühlte sich immer noch an, als würde sie jeden Moment aufplatzen. Also verlangsamte ich meinen Schritt. Dies war erst mein dritter Besuch auf dem Grundstück der Portmans — als Jugendlicher war ich hier zigmal vorbeigekommen — und bei dem Familiengrab war ich noch nie gewesen. Wie die meisten vernunftbegabten Menschen hatte ich es sogar bewusst gemieden. Der Gedanke, die eigenen Angehörigen hinten im Garten zu verbuddeln wie ein Haustier  … das war so eine Macke der Reichen, die wir Normalos nie ganz nachvollziehen können. Oder nicht nachvollziehen wollen.
    Der Zaun um das Familiengrab war vielleicht einen halben Meter hoch und strahlend weiß. Ich fragte mich, ob er zu diesem Anlass frisch gestrichen worden war. Ich stieg über das unnötige Tor, ging an den bescheidenen Grabsteinen vorbei und ließ den frischen Erdhügel nicht aus den Augen. Als ich ihn erreichte, lief mir ein Schauer den Rücken hinunter. Ich blickte zu Boden.

    Ja, ein frisches Grab. Noch ohne Stein. Auf der kleinen Tafel stand in einer Schrift, die auch gern für Einladungskarten bei Hochzeiten benutzt wird, nur: UNSERE MONICA.
    Blinzelnd stand ich da. Monica. Meine wilde Schönheit. Unsere Beziehung war turbulent gewesen — ein ganz typischer Fall: zuerst zu viel Leidenschaft, dann zu wenig. Ich weiß nicht, wie so etwas kommt. Monica war zweifelsohne ein Fall für sich gewesen. Anfangs hatte mich das Knistern angezogen, die Aufregung. Später hatten mich ihre Stimmungsschwankungen nur noch ermüdet. Ich war nicht geduldig genug gewesen, dem auf den Grund zu gehen.
    Als ich auf den Erdhaufen starrte, stieg eine schmerzliche Erinnerung in mir auf. Zwei Tage vor dem Überfall hatte Monica geweint, als ich abends ins Schlafzimmer kam. Es war nicht das erste Mal gewesen. Bei weitem nicht. Ich wurde der Rolle gerecht, die ich im Schauspiel unseres Lebens einnahm, und fragte sie, was los sei, ohne dass die Frage jedoch von Herzen kam. Früher habe ich mehr Besorgnis in diese Worte gelegt. Monica hat nie geantwortet. Ich habe versucht, sie in den Arm zu nehmen. Sie war erstarrt. Mit der Zeit war das Schweigen mühsam geworden, und ein gewisser Gewöhnungseffekt hatte eingesetzt; häufige Reizüberflutung führt zu Abstumpfung. So ist das, wenn man mit einer depressiven Partnerin zusammenlebt. Man kann sich nicht immer in ausreichendem Maße um sie kümmern. Irgendwann muss man anfangen, ihr das übel zu nehmen.
    Das habe ich mir jedenfalls immer gesagt.
    Aber diesmal war irgendetwas anders: Monica antwortete tatsächlich. Nicht sehr ausführlich. Eigentlich sagte sie nur einen Satz. »Du liebst mich nicht.« Das war alles. In ihrer Stimme lag kein Selbstmitleid. »Du liebst mich nicht.« Und während ich pflichtschuldigst protestierte, fragte ich mich, ob sie womöglich Recht hatte.

    Ich schloss die Augen und ließ all dies auf mich einstürzen. Es war nicht gut gelaufen, doch zumindest hatte es in den letzten sechs Monaten einen Ausweg gegeben, ein ruhiges und warmes Zentrum: unsere Tochter. Ich blickte zum Himmel hinauf, blinzelte noch einmal und betrachtete die Erde, die meine sprunghafte Frau bedeckte. »Monica«, sagte ich laut. Und dann legte ich meiner Frau gegenüber ein letztes Gelübde ab.
    Ich schwor an ihrem Grab, dass ich Tara finden würde.

    Ein Diener, Butler, Mitarbeiter, oder wie man diese Angestellten heutzutage nennt, führte mich den Flur entlang zur Bibliothek. Die Einrichtung verriet ein gewisses Understatement, war aber unverkennbar teuer — polierte Böden aus dunklem Holz mit schlichten Orientteppichen, alte amerikanische Möbel, eher solide als dekorativ. Trotz seines Wohlstands und des großen Anwesens inszenierte Edgar seinen Reichtum nicht. Der Begriff nouveau riche war für ihn profan und unsäglich.
    In einem blauen Kaschmir-Blazer erhob Edgar sich hinter seinem riesigen Eichenschreibtisch. Darauf standen ein Federkiel — von seinem Urgroßvater, wenn ich mich recht entsinne — und zwei Bronze-Büsten: George Washington und Thomas Jefferson. Ich war überrascht, dass auch Onkel Carson dort saß. Bei seinem Besuch im Krankenhaus war ich zu schwach für eine Umarmung gewesen. Die holte Carson jetzt nach. Er drückte mich an sich. Ich umklammerte ihn wortlos. Auch er roch nach Herbst und Holzfeuer.
    Im Zimmer
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