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Keine zweite Chance

Keine zweite Chance

Titel: Keine zweite Chance
Autoren: H Coben
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gab es keine Fotos — keine Bilder von Familienurlauben, keine Klassenfotos, kein Bild des Hausherren und seiner Angetrauten bei einem Wohltätigkeitsempfang. Ich glaube sogar, ich habe im ganzen Haus nie ein Foto gesehen.
    Carson fragte: »Wie geht’s dir, Marc?«
    Ich sagte, es ginge mir so gut, wie man unter den gegebenen
Umständen erwarten konnte, und wandte mich an meinen Schwiegervater. Edgar kam nicht hinter seinem Schreibtisch hervor. Wir umarmten uns nicht. Wir schüttelten uns nicht einmal die Hände. Er deutete auf den Stuhl vor dem Schreibtisch.
    Ich kannte Edgar nicht besonders gut. Wir waren uns nur dreimal begegnet. Ich weiß nicht, wie viel Geld er hat, aber selbst außerhalb dieses Anwesens, selbst mitten auf der Straße oder auf einem Busbahnhof, verdammt, sogar nackt hätte man merken können, dass die Portmans Geld hatten. Monica hatte auch diese Ausstrahlung, die im Laufe von Generationen in Fleisch und Blut übergegangen war, die nicht erlernbar und vielleicht tatsächlich schon genetisch bedingt ist. Monicas Entscheidung, in unserem relativ bescheidenen Haus zu wohnen, war vermutlich eine Art Rebellion.
    Sie hatte ihren Vater gehasst.
    Ich mochte ihn auch nicht besonders, wahrscheinlich weil ich solchen Typen schon früher begegnet war. Edgar hält sich für einen dieser Männer, die sich aus eigener Kraft hochgearbeitet haben. In Wahrheit hatte er das Geld jedoch auf die gute alte Art erworben: Er hatte es geerbt. Ich kenne nicht viele Superreiche, aber mir ist aufgefallen, dass die Leute sich umso mehr über Sozialhilfe und allein stehende Mütter aufregen, die dem Staat zur Last fallen, je mehr ihnen auf einem Silbertablett vorgesetzt wurde. Es ist absurd. Edgar gehört zu jener faszinierenden Klasse von Begünstigten, die sich einreden, dass sie ihren Status durch harte Arbeit selbst erworben haben. Natürlich haben wir alle unsere Rechtfertigungsstrategien, und wenn man sich nie selbst versorgen musste und schon immer im Luxus gelebt hat, ohne irgendetwas dafür getan zu haben, reduziert das die üblichen Selbstzweifel wohl nicht unbedingt. Aber man muss doch nicht noch obendrein zu einem solchen Stiesel werden.
    Ich setzte mich. Edgar tat es mir nach. Carson blieb stehen. Ich
starrte Edgar an. Er hatte die Stämmigkeit der Beschützten und Wohlgenährten. Seine Gesichtszüge waren weich. Die sonst rosigen Wangen, die nichts Knochiges an sich hatten, waren jetzt blass. Er faltete die Hände und legte sie auf seinen Bauch. Wie ich überrascht feststellte, wirkte er niedergeschlagen, abgespannt und ermattet.
    Ich sage überrascht , weil Edgar mir immer wie das reine Es vorgekommen war, ein Mensch, dessen eigenes Glück oder Leid das aller anderen ausstach, der jeden in seiner Umgebung als Dekoration für die eigene Zerstreuung sah. Edgar hatte jetzt zwei Kinder verloren. Sein Sohn, Eddie der Vierte, war vor zehn Jahren bei einem Autounfall umgekommen. Er war betrunken in einen anderen Wagen gerast. Monica meinte, Eddie wäre mit Absicht über die doppelte durchgezogene Linie in den Kleinlaster gefahren. Aus irgendeinem Grund gab sie ihrem Vater die Schuld daran. Sie gab ihm die Schuld an vielem.
    Dann ist da noch Monicas Mutter. Sie ruht viel. Sie macht längere Urlaube . Kurz gesagt, sie ist immer wieder auf Entzug. Die beiden Male, die wir uns getroffen haben, war sie für ein gesellschaftliches Ereignis zurechtgemacht, gut gekleidet und gepudert, liebenswürdig und zu blass, mit ausdruckslosem Blick, leichtem Lallen und schwankendem Gang.
    Mit Ausnahme von Onkel Carson hatte Monica sich ihrer Familie entfremdet. Wie Sie sich sicher vorstellen können, hat mich das nicht gestört.
    »Du wolltest mich sprechen?«, sagte ich.
    »Ja, Marc. Ja, das wollte ich.«
    Ich wartete.
    Edgar legte die Hände auf den Schreibtisch. »Hast du meine Tochter geliebt?«
    Ich fühlte mich überrumpelt, antwortete aber doch ohne jedes Zögern. »Sehr.«

    Er schien die Lüge zu durchschauen. Ich musste mir Mühe geben, seinem Blick standzuhalten. »Trotzdem war sie nicht glücklich, wie du weißt.«
    »Ich glaube nicht, dass man mir die Schuld daran geben kann«, sagte ich.
    Er nickte bedächtig. »Da hast du wohl Recht.«
    Doch meine Verteidigungsstrategie, ihm den schwarzen Peter zurückzugeben, funktionierte bei mir selbst nicht ganz. Edgars Worte waren ein neuerlicher Tiefschlag. Eine Welle von Schuldgefühlen erfasste mich.
    »Wusstest du, dass sie in psychiatrischer Behandlung war?«, fragte
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