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Keine Angst vor Anakondas

Keine Angst vor Anakondas

Titel: Keine Angst vor Anakondas
Autoren: Lutz Dirksen
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Herzblut des Filmemachers selbst mag für Gelbbauchunken in Waldpfützen oder Salamandergeburten schlagen – oder eben für die faszinierende Welt der Spinnen.
    Horst Sterns Spinnenfilm Leben am seidenen Faden ist einer der wenigen Sonderfälle. Unter deutschen Tierfilmern kam in den Siebzigerjahren die Meinung auf, dass in Deutschland nicht mehr viel Neues zu machen sei, weil alles schon gefilmt wurde. Fremde Länder mit sympathieträchtigen Tierarten wurden zum Ziel. An die unbeliebten Spinnen hatte bisher niemand gedacht. Horst Stern und Kurt Hirschel bewiesen mit ihrer so ganz anderen Blickrichtung, dass das Potenzial für gute Filme in Deutschland noch lange nicht ausgeschöpft gewesen ist. Der Natur- und Tierfilmer Jan Haft erklärte mir das folgendermaßen: »Jeder Naturinteressierte beobachtet, dass selbst ein und derselbe Garten jedes Frühjahr schon wieder anders ist. Die Geschichten, die sich allein daraus ergeben, sind von unendlicher Zahl, und wo man reinsticht, könnte man immer tiefer graben.« Stern und Hirschel haben im tiefsten Keller gegraben, haben hervorgeholt, was bis dato im Sinne der Verkäuflichkeit als Quotengift galt. Wie gesagt: Wer will schon einen ganzen Film über Spinnen sehen?
Spinnenflackern
    »Mach mal«, hatte Horst Stern zu Kurt Hirschel gesagt. Wieder und wieder gehen ihm diese Worte durch den Kopf. Viele fantastische Aufnahmen waren ihm bereits gelungen. Aber da sind immer noch die großen Baldachinspinnen in ihrer Zucht, die wunderschöne horizontale Netze weben. Den Bau dieser Netze wollen sie unbedingt in ihrem Film zeigen. Alles Warten aber ist vergeblich, die fangen einfach nicht an mit ihrer Arbeit. Ihnen ist durchaus bekannt, dass diese Spinnen ausschließlich nachtaktiv sind. Sobald aber Licht eingeschaltet wird, ist jede Aktivität vorbei. Die Filmer sehen sich mit einem Dilemma konfrontiert: Licht an, Spinne stoppt; Licht aus, Spinne läuft. So würde das nichts werden.
    Dann beginnt Kurt Hirschel mit Licht zu experimentieren. Zunächst setzt er darauf, jede noch so geringe Wärmeentwicklung im Spinnenbiotop zu vermeiden. Ohne Erfolg. Es ist der Zufall, verbunden mit guter Beobachtungsgabe, der ihm zum Durchbruch verhilft. Beim Fotografieren stellt er fest, dass die Spinnen nicht auf ein altes Blitzgerät reagieren, das extrem kurz belichtet. Neuere Geräte belichten länger, dabei stellen die Spinnen ihre Aktivitäten ein. Hirschel beginnt, an Kurzzeitblitzen zu tüfteln. Rund um die Spinnen füllt sich sein Labor mit Stativen, Kabeln und elektronischen Geräten. Er entwickelt riesige Blitzgeräte, die unglaublich schnell hintereinander kurze Lichtimpulse abfeuern können. Es grenzt an ein Wunder, die nachtaktiven Baldachinspinnen bewegen sich im flackernden Leuchtfeuer, als wären sie von tiefster Finsternis umgeben. Offensichtlich sind sie nicht in der Lage, das Flackern wahrzunehmen. Warum – das ist bis heute ein Rätsel.
    Die ganze Sache hat aber einen Haken. Immer wenn die Stroboskope zucken, wird den Filmern speiübel. Sie verstehen nicht, warum ihnen fortwährend schlecht wird. Der Zusammenhang von rhythmischer Lichtflut mit epileptischen Anfällen war zu dieser Zeit noch nicht allgemein bekannt. Immerhin schützen sie ihre Augen mit Spezialbrillen. Doch die Übelkeit bleibt. Ein um Rat gefragter Wissenschaftler weiß Rat. Die Lichtimpulse dringen nicht nur über die Augen, sondern ebenso durch die Schädeldecke ins Gehirn und irritieren es auf gefährliche Weise. Kurt Hirschels Antwort auf dieses biologische Problem ist so simpel wie einfach: Er setzt sich einen Kopfschutz auf. Von nun an tritt keine Übelkeit mehr auf.
    Vier Batterien großer Stroboskoplichter erhellen das Set. Rund um die Baldachinspinne zuckt das Blitzgewitter wie in einer dämonischen Szene eines Horrorstreifens. Dieses Lichtinferno rund um die Spinne, die eifrig ihr komplexes Netz aufbaut, wäre wahrlich geeignet, um ihr satanische Eigenschaften anzudichten. Jede Sekunde blitzt es bis zu 50 Mal, die Kameras laufen synchron mit, für jeden Blitz ein Bild. Im Lichtfeuerwerk gelingen dem Spinnenfilmer brillante Bilder von Netzbau, Beutezügen und Liebesspielen der Baldachinspinnen bei Nacht. Kurt Hirschel hat es geschafft! Für jedes Problem hat er eine Lösung gefunden. Ihm ist sein persönliches Meisterwerk gelungen, so wie Leonardo da Vinci sich mit der Mona Lisa selbst übertroffen hat.
    Der Film Leben am seidenen Faden begeistert. Er zeigt uns, wie Spinnen wirklich sind. Sätze von
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