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Kein Tod wie der andere

Kein Tod wie der andere

Titel: Kein Tod wie der andere
Autoren: Carsten Ness
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in
diesem Moment keine Hilfe.
    Er wollte jetzt
allein sein, am liebsten in einem dunklen, stillen und völlig von der Außenwelt
abgeschlossenen Raum, nur noch weg von dieser immer noch belebten Allee. Er bog
in die Rue du Kiem ab und ging die Talstraße hinunter nach Weimershof. Die
Nationalstraße N 1 Richtung Trier lag vor Nässe glänzend, aber ruhig zwischen
den beiden Häuserreihen des Straßendorfs. Über zwanzig Jahre musste es her
sein, dass er ihn das letzte Mal gesehen hatte. Zwanzig Jahre, die gerade lang
genug gewesen waren, um ihn aus seinem Bewusstsein zu verdrängen. Zwanzig
Jahre, die nun von einem einzigen Augenblick pulverisiert wurden.
    Die Ruhe, die von
den bewaldeten Hängen des engen Tals mit seinen verschlossenen Häusern ausging,
tat ihm gut. Führte ihn ein Stück weit wieder in die Gegenwart zurück. Als er
die Alzette gequert hatte, bog er links ab und folgte dem Uferweg Richtung
Grund vorbei an leblosen Hallen in die nächtliche Leere der Stadt. Nun zeigten
Kälte und Nässe doch ihre Wirkung: Er fror erbärmlich. Aber er nahm diese
Empfindungen fast wie eine Erlösung auf, schienen sie das Gespenst des Abends
doch etwas zu vertreiben.
    Auf Höhe der Abtei
Neumünster holte er mit steifen Händen das Handy aus der Innentasche des
Mantels, schaltete es an und bestellte ein Taxi zum »Café des Artistes«.

1
    Trier-Avelsbach; Sonntag, 31. Oktober
    Thomas Steyn
hatte das Kissen aufgeschüttelt und am Kopfteil des Ehebettes hochgestellt. Er
hasste es, schon morgens seinen Rücken die harte Realität von kaltem, massivem
Buchenholz spüren zu lassen. Und heute, da er nachdenken musste, um den Tag
geschickt und möglichst unauffällig über die Runden zu bringen, wollte er
wenigstens noch einmal in aller Behaglichkeit auf den gestrigen Abend
zurückblicken. Doch das gelang ihm nur bedingt, das Dröhnen in seinem Schädel war
heftig. Dabei hatte er mit dem Château La Tour Blanche doch einen dem Anlass
entsprechend besseren Bordeaux aus seiner Schatzkammer geholt.
    Im Gästezimmer war
es noch ruhig. Marion hatte auch allen Grund, bis tief in den Tag hinein zu
schlafen. Ihre Nacht war schließlich nicht länger gewesen als seine. Ein
vorsichtiger Blick zum Wecker zeigte ihm, dass es wirklich schon spät war.
Dennoch würde ihnen noch genügend Zeit für ein flottes Frühstück bleiben.
Marions Zug fuhr gegen drei Uhr, und Marie würde mit den Kindern erst um kurz
nach halb acht am Bahnhof ankommen. Es war gut, dass er beide überredet hatte,
mit der Bahn zu fahren. Das war wesentlich einfacher zu kalkulieren. Ein etwas
schiefes Lächeln über diese unglaubliche Raffinesse huschte über sein Gesicht.
Thomas Steyn war mehr als zufrieden mit sich.
    Die Blätter der
Winterlinde vor dem Schlafzimmerfenster spielten auf ihre alten Tage nur noch
zaghaft mit dem Licht der Herbstsonne. Um ein Haar hätte sein Vater den
mächtigen Baum schon vor Jahren zu Fall gebracht. Aber Mutter hatte sich
endlich einmal durchsetzen können, und der Baum blieb stehen. Wie sie das
geschafft hatte, war Thomas bis heute ein Rätsel. Doch das war Schnee von
gestern. Er hatte nicht vor, länger als diese paar Sekunden mit Gedanken an
seinen Vater zu verschwenden. Vielmehr hatte er Appetit auf ein kleines
Vorspiel zum Frühstück. Marion dürfte sicher nichts dagegen haben, die
Aktivitäten rund um ihre kleine Wiedersehensfeier noch einmal kurz aufleben zu
lassen.
    Er zog sich schnell
den engen khakifarbenen Baumwollschlafanzug aus, den ihm Marie vor Urzeiten zu
Weihnachten geschenkt hatte und der nicht kaputtzugehen schien. Das Ding hatte
seiner Farbe entsprechend die Widerstandskraft alter Wüstenkrieger, nur ein
Gefechtsfeuer im Bett vermochte er nicht zu entfachen. Warum hatte er das
scheußliche Ding in der Nacht überhaupt noch angezogen? Er konnte sich nur
daran erinnern, dass Marion überraschend mit zwei Gläsern Sekt ins Schlafzimmer
gekommen war, nachdem sie sich eigentlich schon in den Schlaf verabschiedet
hatten. Aber an das, was dann folgte, konnte er sich beim besten Willen nicht
mehr erinnern.
    Der leichte
Seidenkimono, den er sich während einer Geschäftsreise in Japan geleistet
hatte, wirkte hingegen vergleichsweise verführerisch. Doch gerade deshalb
wollte er den Umweg über das Gästezimmer einschlagen, bevor er seinen schon
groß angekündigten »Café au Lait de Thomé« zubereiten würde. Er musste kurz den
Kopf über sich selbst schütteln: Was für einen Mist hatte er gestern wohl sonst
noch von
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