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Kein Tod wie der andere

Kein Tod wie der andere

Titel: Kein Tod wie der andere
Autoren: Carsten Ness
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untermalte, kam ihr jetzt unwirklich, sogar abstoßend vor. Das vielgestaltige Blattwerk der Bäume und Sträucher am bewaldeten Talhang verschwamm in ihrem feuchten Blick zu einer grünmelierten Wand ohne scharfe Konturen.
    An dieser Stelle hatten sie und Alexander sich ewige Treue geschworen. Zusammen schmiedeten sie hier große Pläne für ihre gemeinsame Zukunft im »neuen Land«, wie Alex die Westeifel gern genannt hatte. Sie war unglaublich froh gewesen, dass er nach langem Zweifeln zugestimmt hatte, seine Heimat bei Jülich zu verlassen, um in Richtung Luxemburg, ihres Geburtslandes, zu ziehen, sich hier nahe der Grenze ihr gemeinsames Zuhause zu bauen. Für Suzanne war es wie eine Erlösung gewesen, endlich unabhängig von der Schwiegermutter zu sein. Sich nicht mehr ihrer Bevormundung, ihrer Willkür, ihren Vorwürfen unterordnen zu müssen; nur damit Zoé gut untergebracht war, während sie ihr Studium abschloss. Als sich ihr zweites Kind schneller ankündigte, als Alex und sie zu hoffen gewagt hatten, hatten sie beschlossen, es in dieser Region zu versuchen.
    Das alte Anwesen in der Merteskaul hatten beide als Glücksfall begriffen. Preislich war es für Aachener Verhältnisse geradezu ein Schnäppchen. Der Preis, den Alex ihr danach abverlangte, war dagegen deutlich höher gewesen. Sie hatte ihm versprechen müssen, ihre Kontakte mit ihren Eltern wieder zu intensivieren. Ihre Kinder sollten nicht ohne Großeltern aufwachsen müssen.
    Sein wirkliches Motiv hatte sie allerdings erkannt: Sie sollte ihr Verhältnis zu ihren Eltern aufarbeiten, um überhaupt das bevorstehende Glück ihrer eigenen Familie erkennen, akzeptieren und ausleben zu können. Das hatte sie damals zunächst sehr glücklich gemacht. Glücklich, weil sie einen so guten Ehemann gefunden hatte. Glücklich, weil sie fest daran glaubte, es mit ihm schaffen zu können.
    Die ersten zwei Jahre in der Merteskaul waren für Suzanne fast paradiesisch gewesen. Alexander hatte alles mit unheimlich viel Enthusiasmus und Energie angepackt. Sie war tief beeindruckt, wie er die Renovierung des alten Gehöfts konsequent vorantrieb, nebenbei einen Großteil des Einkommens verdiente und es schaffte, sich auch noch um seine junge Familie zu kümmern. Sie selbst war froh, dass Zoé die Merteskaul schnell als neues Zuhause akzeptierte, auch wenn Kontakte zu anderen Kindern in der Abgeschiedenheit, in der sie lebten, sich nur langsam entwickelten. Sie versuchte es mit viel Hinwendung auszugleichen. Nach Annes Geburt schien alles perfekt. Sie war stolz und glücklich gewesen.
    Dann war eine Zäsur in ihrem fast vollkommenen Familienleben gefolgt: vor gut einem Jahr, als sie die Stelle im Bitburger Krankenhaus angenommen hatte. Eigentlich war es genauso besprochen gewesen. Sie sollte ihre Ausbildung zur Fachärztin machen und zukünftig für die finanzielle Basis sorgen. Alexander wollte sich, dann wirtschaftlich unabhängig, nur noch anspruchsvoller journalistischer Arbeit widmen. Immer hatte er auch betont, die Mädchen aufwachsen sehen zu wollen. Alles war klar gewesen. Eigentlich. Doch schon nach wenigen Monaten hatte sie gespürt, wie Alexander zunehmend unausgeglichener wurde. Er bemühte sich, ja, aber die Überzeugung der Anfangszeit ging ihm verloren.
    Vielleicht hatte er gemerkt, dass die Dreifachbelastung von Haus, Kindern und Arbeit doch nicht so leicht zu bewältigen war, wie er sich vorgestellt hatte. Wenn sie ihn darauf ansprach, wich er aus oder wiegelte ab. Er machte ihr etwas vor. Das war der erste Vertrauensverlust. Dazu kamen seine Vorwürfe, weil sie das Versprechen, sich ihren Eltern anzunähern, nicht einzuhalten vermochte. Sie hatte sich bemüht, hatte Teilerfolge erzielt, doch die Mauern, die vor allem ihren Vater umgaben, konnte sie letzendlich nicht überwinden.
    Vor einem knappen halben Jahr hatte Alexanders Verhalten sich erneut massiv geändert. Ursprünglich hatte sie vermutet, dass es mit den Recherchen zu einem brisanten Thema in Luxemburg zu tun hatte. Doch er gab vor, sie aufgegeben zu haben, weil sie in die Leere gelaufen seien. Trotzdem wurde er immer unruhiger, unzufriedener. Wirkte zeitweise fahrig und nervös. Nutzte zusehends die Abende und Nächte für seine Recherchen, ohne mit ihr darüber reden zu wollen. Viel hatte er nie über seine Arbeit gesprochen, doch nun ließ er selbst einfaches Nachfragen nicht mehr zu. An diesen einsamen Winterabenden hatte sie so manches Mal darüber nachgedacht, ob sie ihn mit ihren
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