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Kein Tod wie der andere

Kein Tod wie der andere

Titel: Kein Tod wie der andere
Autoren: Carsten Ness
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Türrahmen lehnte, wusste Thomas nicht. Er hatte ihn
nicht kommen gehört. Irritiert legte er das Handy auf den Glastisch. Hatte ihn
sein so ausgeprägter Gehörsinn seit gestern Abend denn völlig verlassen?
    »Sie haben auf die
Wiederwahltaste gedrückt. Ist das Ihre Frau am Telefon?«
    Thomas starrte
zuerst Kommissar Buhle, dann das Telefon an, bis er begriff, was gemeint war,
und einfach auflegte.
    »Kommt sie ohne die
Kinder?«
    »Ja.«
    Mehr fiel Thomas
nicht ein. Dieser Mensch da, wie er dieser ganzen Sache so arrogant gelassen
gegenüberstand, war ihm alles andere als geheuer. Er blockierte ihn. Die ganze
Zeit schon umgab er sich mit einer Aura, als ob er alles klar durchschauen
würde, als ob er nur noch ein wenig warten wollte, bis auch die anderen endlich
kapierten, was geschehen war.
    Thomas kapierte
eindeutig nichts. Er hatte noch immer keinen blassen Schimmer, wer diese Frau war,
die in seinem Gästebett lag. Er wusste nicht, wo Marion abgeblieben war. Er
hatte keine Ahnung, wie er das ganze Drama seiner Frau, seinen Kindern und den
anderen erklären sollte. Und vor allem war ihm völlig schleierhaft, was dieser
Buhle wusste, ahnte oder sonst wie dachte.
    Der Ameisentrupp
schien sich langsam aufzulösen. Die fremden Geräusche in den Zimmern wurden
immer leiser. Langsam nahm Thomas wieder die vertraute Melodie seines Hauses
wahr. Er hatte sie immer mit guter Jazzmusik verglichen, mit ruhigem, aber
bestimmtem und stets individuellem Jazz wie etwa von Keith Jarrett, der im
ersten Teil des »Köln Concert« mit einer ganz leichten Verzögerung des
Tastenanschlags die wohl genialste Pause der Musikgeschichte komponiert hatte.
    Die Pause nach seinem
letzten »Ja« kam Thomas allerdings alles andere als genial vor. Buhle schien
sie zu genießen. Er stand mit ruhendem, aber wachem Blick immer noch im
Türrahmen; sogar ein leichtes, genüssliches Lächeln hatte sich auf seine extrem
schmalen Lippen verirrt. Dann aber blickte er Thomas unvermittelt und direkt in
die Augen. Diese eisblaue Iris hätten dem Mann zu Weltruhm auf der Leinwand
verhelfen können, wenn sie nicht diese beispiellose Härte verinnerlicht hätten.
    »So langsam dürften
Sie aufgewacht sein, Herr Steyn. Also, versuchen Sie es doch mal mit ein paar
erklärenden Worten. Die dafür notwendigen Fragen können Sie sich nach Ihrem
offenbar ausgiebigen Studium der neueren skandinavischen Kriminalliteratur
sicher selbst denken.«
    Buhle hatte
natürlich nicht nur Lenin registriert, sondern auch die nicht minder
umfangreiche Krimisammlung, die er im Gegensatz zur kommunistischen Elite
wenigstens auch gelesen hatte. Aber Thomas war dankbar, dass diese schier
endlose Gesprächspause endlich zu Ende war. Allerdings nur die wenigen
Augenblicke, bis er merkte, dass Buhle diese Dankbarkeit mit einem zufriedenen
Stellungswechsel auf das andere Bein quittierte.
    Thomas überlegte,
wie er seine Worte überzeugend klingen lassen konnte. Bei seinen
Geschäftsterminen gelang es ihm häufig intuitiv, den richtigen Ton zu finden.
Aber er war völlig ahnungslos, was und ob überhaupt irgendetwas bei diesem
Kriminalbeamten ankam. Zudem fühlte er sich immer noch leer und ohne jegliche
Energie. Was hatte Marie ihm geraten? – Sag nur das, was du sicher weißt.
    Aber er wusste doch
nichts, außer dass Marion … Das konnte er kaum erzählen, doch konnte er es denn
verschweigen?
    »Ich hatte Besuch …«
    Drei Worte, und
Thomas schnürte es sofort wieder die Kehle zu, als ob zwei kräftige Hände die
Funktion seiner Stimmbänder außer Kraft setzen würden.
    Buhle zeigte
erstmals Anzeichen von Ungeduld. »Nun, den haben Sie jetzt immer noch. Doch
werden Sie mich kaum so schnell loswerden wie Ihren Damenbesuch.«
    »Nein, Sie denken
natürlich, ich hätte …« Wieder kam Thomas nicht weiter.
    »Wenn Sie wollen,
dass ich aufhöre zu denken, Herr Steyn, versuchen Sie es doch ganz einfach mal
mit Erzählen. Sie hatten Besuch, und es war sicher nicht die alte Dame, oder …?« Buhles Schweigen hatte Thomas mehr beeindruckt als dessen Worte. Der etwas
platte Spruch hätte auch von ihm selbst stammen können. Oder hatte er den
Dürrenmatt, der ungelesen seit der Schulzeit am anderen Ende der Regalwand
verharrte, auch registriert?
    Thomas ahnte, dass
er selbst nur etwas erfahren würde, wenn auch er etwas preisgab. So klar konnte
er wieder denken. Im alten Anbau ging gerade die Tür. Mittlerweile dürften sie
schon das ganze Haus in kriminalistisch säuberlich getrennte
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