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Kein Paar wie wir

Titel: Kein Paar wie wir
Autoren: Eberhard Rathgeb
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erledigten alle Hausarbeiten sofort. Sonst kommt man, sagten sie, nicht mehr hinterher mit dem Aufräumen, und es entsteht Unordnung. Sie ertrugen keine Unordnung um sich herum. Keinen Schmutz und kein Chaos.
    Die beiden Schwestern liefen mehrmals zwischen dem Wohnzimmer und der Küche hin und her und blieben sich dabei dicht auf den Fersen, um weiterhin miteinander reden zu können. Das Gespräch war eine Nabelschnur, die sie verband und am Leben erhielt. Vika ging voraus, sie gab, rücksichtsvoll, das Tempo an.
    »Du machst dich besser gleich auf den Weg«, sagte Ruth. »Am Vormittag ist es noch nicht so heiß. Am Nachmittag ist die Hitze unerträglich.«
    Ruth machte kleine, vorsichtige Schritte. Ihre Füße glitten über die alten dunklen Dielen und die Teppiche. Sie kannte jeden Zentimeter. Hier gab es keine Überraschungen für sie.
    Vika, dachte sie, ist gut zu Fuß. Aber der Weg zur Bank ist lang. Sie sollte ein Taxi nehmen.
    »Ich nehme ein Taxi«, sagte Vika. »Das ist bequemer. Der Weg zur Bank zieht sich hin.«
    Vielleicht gehe ich zu Fuß zurück, dachte sie. Man muss sich gerade im Alter bewegen. Das Laufen tut mir gut. Ich komme unter Leute, sehe neue Gesichter. Manche Leute kennen mich und grüßen, wenn ich an ihnen vorbeilaufe.
    Sie griff nach dem Marmeladenglas. Die Schwestern nahmen immer nur eine Sache in die Hand. Lieber gingen sie öfter, als dass ihnen etwas entglitt, zu Boden fiel und zerbrach.
    »Tu das«, sagte Ruth und nahm den leeren Brotkorb. Nie blieb ein Toastbrot ungegessen. Sie wussten, wie viel sie essen würden, sie aßen immer gleich viel, niemals mehr oder weniger. Aus diesem Grund konnten sie gezielt auf Tage hin vorausplanen.
    »Früher«, sagte Vika, »bin ich zur Bank gelaufen, hin und zurück, ohne dass es mir etwas ausmachte. Im Gegenteil, der Spaziergang tat mir gut, ich ging gerne zur Bank.«
    »Früher sind wir gemeinsam zur Bank gelaufen«, sagte Ruth.
    In New York waren sie häufig zusammen spazieren gegangen, ohne festes Ziel. Sie fühlten sich frei und genossen es, tun und lassen zu können, was sie wollten. Sie gingen vom Central Park bis zum Gramercy Park, fuhren durch ganz Manhattan bis ans Meer. Sie verdienten ihr eigenes Geld, sie waren nicht arm, konnten sich mehr kaufen, als sie brauchten. Aber sie kauften sich nie mehr, als sie brauchten.
    Der linke Fuß tat ihr weh.
    »Danach hole ich für uns das Mittagessen«, sagte Vika.
    Fast jeden Tag holte sie aus einem Café in der Nähe das Mittagessen. Sie konnte zwischen drei Gerichten wählen. Man kannte sie dort, sie wurde von den Verkäufern mit ihrem Namen angesprochen. Das gefiel ihr.
    »Die Ravioli gestern waren ausgezeichnet«, sagte Ruth, als hätte sie gestern vergessen, die Ravioli zu loben. Sie lobte jedes Mittagsmahl und bestätigte auch damit nur, dass alles, was die Schwelle ihres Appartements mit ihrer beider Zustimmung überschritt, von guter Qualität war.
    Ruth aß nicht mehr so gerne wie früher. Der Appetit war ihr in den letzten Jahren vergangen. Dennoch blieb sie schwer um die Hüften. Viele der Kleider, die sie besaß, passten ihr nicht mehr. Sie war im Alter dicker geworden, sie registrierte es, unternahm aber nichts dagegen. Vika konnte noch alle ihre Kleider anziehen. Sie hatte ihre Mädchenfigur über die Jahrzehnte behalten. Sie blieb sich gleich, sie war seit jeher die Schmächtige, und auch die Vernünftige.
    »Sie haben ausgezeichnetes Essen«, sagte Vika. »Nirgendwo anders in unserem Viertel bekommt man so gutes Essen.«
    »Ja, das Essen von dort ist immer ausgezeichnet«, sagte Ruth.
    Allein würde ich mir nichts kochen, dachte sie, für mich allein würde ich nicht den Tisch decken. Ausgeschlossen, unvorstellbar.
    Gegen ein Uhr füllten sie in der Küche das Essen, das Vika im Café geholt hatte, auf ihre Teller und trugen die Teller ins Wohnzimmer. Das Essen war, wenn sie sich an den Tisch setzten, lauwarm, aber das machte ihnen nichts aus. Man soll nicht zu heiß essen, sagten sie.
    »Möchtest du einen Salat dazu haben?«, fragte Vika.
    Man muss, dachte sie, täglich Vitamine zu sich nehmen. Ich werde einen Salat für uns kaufen, auch wenn sie keinen Salat essen möchte. Sie muss Salat essen.
    »Am Abend«, sagte Ruth. »Lass uns am Abend einen Salat essen.«
    Sie hatten das Geschirr fertig abgeräumt und standen tatenlos in der Küche.
    »Heute wird es sehr heiß werden«, sagte Ruth, als wollte sie Vika etwas auf den Weg mitgeben, eine Information, die ihr hilfreich sein
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