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Kein Paar wie wir

Titel: Kein Paar wie wir
Autoren: Eberhard Rathgeb
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könnte, einen Rat.
    Heute wird es sehr heiß werden, dachte sie, aber das ist nicht wichtig.
    Im Sommer war es immer heiß. Daran waren sie gewöhnt. Wichtig für sie war, dass Vika gleich gehen und sie alleine zurücklassen würde. Sie mochte nicht alleine sein in der Stille, die sich sofort auszubreiten begann, wenn Vika gegangen war.
    »Hier drinnen ist die Temperatur angenehm«, sagte Vika.
    Die Hitze ist nicht schlimm, dachte sie. Lieber zu warm als zu kalt. Wenn wir frören, würden wir uns erkälten. In unserem Alter darf man nicht krank werden, nicht bettlägerig. Wer sich einmal hinlegt, der kommt so schnell nicht wieder hoch.
    »Obwohl wir keine Klimaanlage haben«, sagte Ruth.
    Das ist der einzige Nachteil der Wohnung, dachte sie. Wir hätten uns, bevor wir einzogen, eine Klimaanlage einbauen lassen sollen. Jetzt ist es zu spät. Es würde zu viele Umstände machen, und es lohnt sich nicht mehr.
    »Nur einen alten tragbaren Ventilator.«
    Sie schleppten den Ventilator mit sich durch die Wohnung. Setzten sie sich ins Wohnzimmer, stellten sie den Ventilator dort auf, ließen sie sich im Arbeitszimmer auf dem Sofa nieder, stand auch der Ventilator nicht weit von ihnen.
    »Die Mauern sind dick«, sagte Ruth. »Aber sie halten die Hitze nicht ab.«
    »Abends müssen wir die Fenster öffnen, um kühle Luft hereinzulassen, und tagsüber müssen wir die Rollläden schließen.«
    Diese Vorsichtsmaßnahmen halfen nicht immer, und dann musste der Ventilator seinen Dienst antreten.
    »Dass wir so gut beieinander sind, hängt auch mit dem angenehmen Klima zusammen.«
    »In der Stadt weht durchgehend ein leichter Wind«, sagte Vika.
    Man muss im Schatten der Bäume laufen, dachte sie.
    »Er kommt vom Fluss«, sagte Ruth.
    Auch in New York, dachte sie, waren die Sommer sehr heiß. Wir fuhren ans Meer.
    »Keine andere Stadt hat ein besseres Klima«, sagte Vika.
    Sie konnten es beurteilen, sie waren in vielen Städten gewesen.
    »Keine«, bestätigte Ruth.
    »Wenigstens für uns nicht. Für uns beide ist das hiesige Klima ideal.«
    Ich muss jetzt gehen, dachte Vika. Ich lasse sie nicht gerne alleine. Aber wir brauchen Geld.
    Ein Mal im Monat ging sie zur Bank und hob Geld ab. Sie nutzte jede Gelegenheit, um sich an der frischen Luft zu bewegen.
    »Und das Licht«, schwärmte Ruth.
    »Die Luft und das Licht.«
    Man muss wissen, was man will, dachte Vika. Wir hatten auch Glück, dass wir dieses Appartement fanden. Aber wenn man nicht weiß, was man will, erreicht man nichts.
    Sie nahm ihre Handtasche. Wenig später fiel die Tür ins Schloss, und Ruth blieb mit der Stille zurück.
    Jetzt bin ich allein, dachte sie. Der Herd. Ich koche nicht. Der Kühlschrank. Die beiden Hocker, wo wir manchmal nachmittags sitzen. Wir beide. Immer zusammen. Das Telefon. Ich gehe nicht mehr ran. Das Telefonieren hat Vika übernommen. Bis ich das Telefon erreiche, hat es aufgehört zu klingeln. Ich höre schlecht. Sie hört gut. Das Bild von Tante Frida. Sie erhängte sich. Der Teppich, ein Perser, von den Eltern. Ich muss die Füße heben, sonst stolpere ich. Der alte Schrank mit dem kostbaren Geschirr aus dem Wohnzimmer der Eltern. Jetzt steht er hier, schwer und dunkel. Das Fenster zum Hof. Die Rollläden sind nicht ganz geschlossen. Die Fenster dürfen tagsüber nicht geöffnet werden, sonst dringt die heiße Luft herein. Es ist heiß draußen, schon am Vormittag. Sie muss sich ein Taxi nehmen. Sei vernünftig, Vika. Sie ist vernünftig. Sie wird sich ein Taxi nehmen. Sie passt auf sich auf. Die Bücher. Die Klassiker. Ich rühre sie nicht an. Warum noch lesen. Ich lese nicht mehr. Es hilft nicht. Es half nie. Das Leben war anders. Die Menschen waren anders. Ich las die Klassiker nicht gerne. Das pathetische Deutsch. Die deutsche Provinz. Schiller in New York. Lächerlich. Einige Bücher haben wir behalten, als kämen wir nicht ohne sie aus, als wollten wir Vater nicht enttäuschen. Das Sofa im Wohnzimmer ist größer und bequemer als das Sofa drüben im Arbeitszimmer, in dem wir abends Radio hören. Die Deutsche Welle. Klassische Musik. Die Nachrichten um Mitternacht. Wir essen am Tisch der Eltern. Die stummen Mahlzeiten damals. Die Tischgebete. Vater betete laut. Mutter schwieg, und Vater führte das Wort. Auch die Stühle sind von den Eltern. Wir nahmen die alten Gegenstände mit zu uns. An diesem Tisch und auf diesen Stühlen saßen wir als Kinder. Das Vergangene bleibt an einem hängen, es fällt nicht von einem ab, es löst sich nicht
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