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Kein Biss unter dieser Nummer

Kein Biss unter dieser Nummer

Titel: Kein Biss unter dieser Nummer
Autoren: Mary Janice Davidson
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Teint weitaus besser zur Geltung gebracht hätten, war mir schleierhaft. »Ich habe mich bei der Pfarrerin entschuldigt, dass ich für die Kirche nicht passend angezogen bin«, flüsterte sie, als sie aus ihrer Seemannsjacke schlüpfte. »Ich hatte nicht damit gerechnet, dass du wieder hier oben sein würdest.«
    »Mir gefällt es hier.«
    »Das kann ich mir vorstellen.«
    »Das kannst du nicht.«
    »Wie bitte?« Ihre Augen weiteten sich.
    »Du kannst es dir nicht vorstellen. Nicht einmal annähernd.«
    »Ich wollte nicht …«
    »Du kannst dir nicht vorstellen, wie es ist, weitaus mehr Jahrzehnte von deinem himmlischen Vater getrennt zu sein, als du gelebt hast und als Käfer unter Käfern auf der Erde herumgewuselt bist. Du kannst dir nicht vorstellen, von welcher Trostlosigkeit und Hoffnungslosigkeit das Leben – oder wie auch immer man es nennen mag – erfüllt ist, wenn einem der Zugang zum Paradies verwehrt ist. Du kannst dir nicht vorstellen, wie es ist, wenn man sich schließlich mit der Dunkelheit abgefunden hat und dann auf eine Person trifft, die sie vertreibt. Eine Person, die das Licht so tief in sich verinnerlicht hat, dass sie
nicht einmal weiß, wie sie dies zuwege bringt
. Und du kannst dir auch nicht vorstellen, was es für ein Gefühl ist, wenn man feststellt, dass es eine andere, ebenso mächtige Person wie sie gibt, die dir das Licht deines Lebens in einem Trotzanfall stiehlt und dann auch noch erwartet, dass alle wieder gut Freund mit ihr sind, sobald der Trotzanfall vorüber ist.«
    Sie hatte mich während meiner Ausführungen mit offenem Mund angestarrt, und als ich nun endete, hob sie eine Augenbraue und sagte: »So stehen wir nun also zueinander.«
    »Ja.«
    »Okay. Eigentlich solltest du mich ja zum Dinner bei euch abholen. Soll ich das absagen?«
    »Warum?«
    »Richtig, das hatte ich ja beinahe vergessen«, murmelte sie, griff nach ihrer Tasche und kramte darin. »Du bist einer von denen.«
    »Ich sehe keinen Grund, warum Kontrahenten nicht miteinander speisen könnten. Obwohl ich genau genommen ja nicht speise.«
    »Natürlich. Keine Sorge, ich vergesse schon nicht, dass du nichts isst! Ich behalte es die ganze Zeit im Kopf.«
    »Entzückend. Hast du vor, der Königin zu sagen, was du und deine verfluchte Mutter getan haben?«
    »Äh …« Sie zog ein Papiertaschentuch aus der Tasche hervor und putzte sich geräuschvoll die Nase. Es schmeichelte mir keineswegs, dass sie meinetwegen plötzliche in reuige Tränen ausgebrochen war. Wenn man von der Kälte in die Wärme kommt, läuft jedem lebenden Wesen die Nase, auch dem Antichristen. »Was sollen wir denn getan haben?«
    »Ihr habt sie in eine Falle gelockt, damit sie dir hilft, die Hölle zu leiten. Nur, dass das nicht der eigentliche Plan ist, nicht wahr, Laura? Elizabeth soll die Hölle ganz allein führen. Damit du die Freiheit hast, das zu tun, was auch immer arbeitslose Antichristen tun.«
    »Okay, lass es mich bitte erklären! Ich wusste gar nicht, was meine Mutter vorhatte. Das habe ich erst nach ihrem Tod erfahren. Sie hat mir einige Papiere hinterlassen und … und andere Dinge.«
    »Zweifellos.«
Andere Dinge?
Plötzlich schien mich die Neugier förmlich zu zerfressen. Welche Dinge? Briefe oder Dokumente? Artefakte? Anweisungen? Ich machte mir in Gedanken eine Notiz, meine Königin bald um eine Besichtigungstour der Hölle zu bitten.
    »Ich habe es zuerst gar nicht begriffen«, erklärte sie, doch ihr bestürzter Ton ließ mich kalt. »Ich war aufgeregt und verängstigt, und es dauerte eine Weile, bis ich es verstand.«
    »Was genau?«
    »Dass sie niemals vorhatte, mich auszubilden, damit ich ihren Platz einnehmen konnte. In Wahrheit hat sie Betsy ausgebildet. Nachdem ich das herausgefunden hatte, war mir alles klar, verstehst du?« Sie wirkte so entspannt, wie ich sie nie zuvor erlebt hatte. Ein dunkelblaues Jeansstoffbein über das andere geschlagen, den rechten Arm auf der Lehne der Bank, wandte sie sich mir zu. »Warum sollte sie mir einen Job aufbürden, den sie selbst gehasst hat? Ich weiß nicht, ob sie mich je geliebt hat, aber ich wusste, dass sie mich mochte, und ich wusste, sie wollte, dass ich glücklich bin.«
    »Satan, die hingebungsvolle Mutter«, erwiderte ich trocken.
    Doch mein Sarkasmus perlte an Laura ab. Mir gefielen die Veränderungen, die ich an ihr wahrnahm, nicht. Ich hatte erwartet, dass sie eingeschüchtert reagieren würde, wenn ich sie mit meiner Vermutung konfrontierte. Ich hatte nicht mit ihrer
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