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Kehraus fuer eine Leiche

Kehraus fuer eine Leiche

Titel: Kehraus fuer eine Leiche
Autoren: Martina Kempff
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Kiki und Mimi. Du musst deinen Pflegehennen unbedingt Namen geben, Katja, das ist persönlicher.«
    »Ich pflege sie nicht, sondern koche ihre Kinder«, gebe ich zu bedenken. »Was meinst du, Marcel, ist es da ethisch vertretbar, die Mütter zu taufen? Marcel?«
    »Häh?«
    Erst bei der zweiten Nennung seines Namens scheint Marcel aus der Trance zu erwachen, in die ihn offensichtlich dieses Mannsbild an der Wand versetzt hat.
    »Schlag du doch mal einen passenden Namen vor«, versetzt Jupp sanft, meinen Blick meidend.
    »Fred«, beeilt sich Marcel, dem Vorschlag nachzukommen.
    Peinliches Schweigen.
    »Ist Fred ein Frauenname in Deutschland?«, fragt David schließlich.
    »Kurzform für Frederike«, presse ich hervor. Ich kann einfach nicht glauben, dass ich mich in Marcel so geirrt haben soll. Nicht nur mir wird die Sache langsam unheimlich.
    »Hast du ein neues Hobby, Marcel?«, erkundigt sich Hein.
    Ein neues Hobby? Seit wann ist das eine Umschreibung für sexuelle Neuorientierung?
    »Was für ein Hobby?«, fragt Marcel irritiert.
    »Na, Fotografieren!«, ruft Hein. »Ich kann ja verstehen, dass du das Foto auch toll findest. Der Mai ist rein künstlerisch gesehen das weitaus beste Bild in diesem Kalender.«
    Marcel schüttelt den Kopf und starrt weiter auf das Bild.
    Hein schlägt auf den Tisch, dass die Tassen klirren. »Das ist ja nicht mehr zum Aushalten! Nun steh schon auf und schau es dir genauer an!«
    Ich kann es nicht fassen: Marcel steht tatsächlich auf und schreitet zur Wand. Wir sind alle sehr still, als er das Foto intensiv mustert.
    »Hackerstivvell!«, schreckt er uns plötzlich auf. »Das ist er!«
    »Wer denn?«, flüstert Gudrun.
    »Mein Opfer!«
    »Dein was?«, frage ich fassungslos.
    »Meine Leiche«, setzt Marcel hinzu. »Kann ich das Bild haben?«
    »Hol es dir, hol es nur«, sagt Hein, obwohl der Mai noch gar nicht begonnen hat, aber einem derart verstörten Mann darf man nichts abschlagen. »Du kannst den ganzen Kalender mitholen, wenn du willst«, setzt er eilig hinzu.
    »Danke, den werde ich auch brauchen.«
    Marcel atmet tief aus, als er den Wandkalender herunternimmt.
    David ist als Einzigem die Farbe nicht aus dem Gesicht gewichen. Er sieht völlig entspannt aus, betrachtet uns nur etwas ratlos. Aber er lebt erst seit Kurzem auf der Kehr und hat vermutlich noch nie so tief in die Abgründe von vermeintlich wohlvertrauten Menschen blicken müssen wie wir anderen. Wenn ich eins aus den vergangenen beiden Jahren in der Eifel gelernt habe, dann ist es, niemandem mehr rückhaltlos zu vertrauen.
    »Ist das dein John Doe?«, fragt David sachlich.
    Marcel nickt.
    Ich schlage mir an die Stirn. Natürlich! Wie konnte ich nur so blöd sein?
    »Du kennst seinen Namen?«, ruft Gudrun entsetzt. Ich ahne, was in ihr vorgeht, und beeile mich, sie zu beruhigen.
    »John Doe nennt die Polizei in Amerika unidentifizierte Leichen«, erläutere ich, blicke Marcel Zustimmung heischend an und erschauere nun doch wieder angesichts der orangen Knöpfe auf dem auberginefarbenen Stoff. »Das ist ein Aushilfsname so ähnlich wie Max Mustermann bei uns. Oder Fred bei Marcel.«
    »Ach so«, sagt Gudrun misstrauisch.
    Marcel steht immer noch.
    »Endlich haben wir eine Spur«, sagt er. »Seit drei Tagen versuchen wir herauszufinden, wer der Mann ist.«
    »Wie, wo und wann habt ihr ihn gefunden?«, frage ich.
    »Vor drei Tagen. Erstochen. Mit dem Kopf im Eiterbach, nahe der N 626.«
    Er seufzt, klemmt sich den Kalender unter den Arm und leert im Stehen seine Tasse Kaffee.
    »Entschuldigt, aber ich fahre gleich ins Büro und gehe der Sache nach. Tut mir leid.«
    Mir nicht. Ich bin erleichtert. Darüber, dass diesmal eine Leiche ein Stück weit weg von der Kehr in Belgien aufgefunden wurde. Und darüber, dass Marcel nur seinen Job tut. Herausfinden muss, wer der arme junge Bauarbeiter war und wer dafür gesorgt hat, dass er nie wieder ein Kalenderblatt schmücken wird.
    »Scheußliche Geschichte«, seufzt Hein, als die Haustür hinter Marcel ins Schloss fällt. »Vielleicht hat der Mann einen Freund, der noch gar nichts weiß. Und sich später Vorwürfe machen wird, weil er geglaubt hat, der Junge geht fremd. Weil der sich nicht gemeldet hat. Furchtbar.«
    »Die armen Eltern«, sagt Jupp.
    »Aber mit uns hat das alles nichts zu tun«, bemerkt Gudrun und strahlt David an. »Wie klug, dass du das gleich verstanden hast!«
    »Was hast du gedacht?«, fragt David grinsend zurück. »Dass Marcel ein Date mit dem Bild
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