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Kehraus fuer eine Leiche

Kehraus fuer eine Leiche

Titel: Kehraus fuer eine Leiche
Autoren: Martina Kempff
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will?«
    Unsere Runde bricht in erlösendes Gelächter aus. Welch ein absurder Gedanke!

2_GLAUBEN
Donnerstagmorgen
    Marcel steht in meiner Restaurantküche. Er trägt einen lila Kittel und hält mein Lieblingsmesser mit dem Magnolienholzgriff in der Hand. Jetzt beugt er sich über den nackten Bauarbeiter, der zwischen den Tabletts mit dem Amuse-Gueule auf dem Holztisch liegt. Ruckartig stößt er das Messer in den Toten, zieht es wieder heraus und greift mit der anderen Hand in den Körper hinein.
    »Wollen Sie die Eier?«, fragt Pia.
    »Nein«, antwortet Marcel, »das Herz.«
    Er reicht ihr einen orangen Hemdknopf, an dem ein Blutstropfen glitzert.
    »Nehmen Sie nur«, sagt er, und da weiß ich, dass ich träume, denn das Wort nehmen ist Marcel wie jedem Eifeler fremd. Es würde ihm in keinem seiner Träume oder gar im echten Leben einfallen. Was man woanders nimmt, wird im hiesigen Dialekt grundsätzlich geholt – was für alle Zusammensetzungen gilt. Hier wird Blut abgeholt, der Führerschein mangels Kontrollen allerdings eher seltener, ein Kredit aufgeholt, Verantwortung überholt, etwas Schönes weggeholt, mitgeholt oder unterholt.
    Marcel kann zudem nicht an meinem geliebten alten Holztisch stehen, weil ich diesen auf Anordnung der Gewerbeaufsicht durch eine Edelstahlanrichte habe ersetzen müssen. Der laute Knall, mit dem der alte Holztisch jetzt zusammenbricht, weckt mich endgültig auf.
    Erleichtert stelle ich fest, dass der Lärm von draußen kommt, besser gesagt, von oben. Dumpfes Grollen dringt durch die Mauern meines belgischen Bruchsteinhauses.
    Nun, vielleicht sollte ich dieses Frühlingsgewitter als himmlisches Feuerwerk zur Eröffnung meines Restaurants feiern. Mich freuen, dass es zu so früher Stunde ausgebrochen ist und die Chance minimiert, am Abend meine Gäste fernzuhalten.
    Ich richte mich in meinem Anderthalbpersonenbett auf und blicke aus dem vorhanglosen Schlafzimmerfenster nach Westen über das belgische Land, in dem ich seit bald zwei Jahren zu Hause bin. Mein Restaurant befindet sich in Deutschland, in Nordrhein-Westfalen. Dennoch kann ich zu Fuß zur Arbeit. Denn der heruntergekommene Hof, in dem ich wohne, liegt dem Restaurant genau gegenüber. Dazwischen gibt es nur die Bundesstraße 265, die asphaltgraue Grenze zwischen Deutschland und Belgien. Farblich passend zum heutigen Morgenhimmel. Kurz nach sieben, viel zu früh zum Aufstehen.
    Zu spät aber, um wieder einzuschlafen, findet Linus. Offenbar vom Gewitter geweckt, trottet das schwarze Ungetüm in mein Schlafzimmer, verbeißt sich in mein weißes Federbett, reißt es mir vom Leib und schleppt es wie eine erbeutete Braut in den Flur. Ich höre beglücktes Knurren, als er sich darüber hermacht, wie jede Bestie wahrscheinlich abwägend, ob er es nun zerfetzen oder sich genüsslich darauf herumwälzen soll. Ich bin zu müde, um ihn zurückzupfeifen, zumal in diesem Haus der Hund darüber entscheidet, ob er folgsam ist oder nicht. Sein beklagenswerter Ungehorsam ist nicht meine Schuld. Als ich Linus erbte, war er bereits zu alt, um sich von Hierarchie noch beeindrucken zu lassen. Frierend wuchte ich mich aus dem Bett und stapfe schlaftrunken in den Flur. Konziliantes Fiepen kommt von dem schwarzen Riesenfleck auf der wahrscheinlich nicht mehr so weißen Decke.
    Ich brauche starken schwarzen Kaffee, bevor ich mich dem Rest eines Tages stelle, der mit so unheilvollen Traumbildern begonnen hat. Träume sind nicht esoterische Zukunftsvisionen, sondern unverarbeitete Restbestände des Vortags, sage ich mir, bin allerdings immer noch etwas erschrocken, Marcel als Bauarbeiterschlachter gesehen zu haben. Noch dazu mit meinem Santoku-Messer, das ich seit einigen Tagen schmerzlich vermisse. Da hat mein träumender Geist einiges zusammengeführt, das nicht zusammengehört, höchstens allegorisch. Zu einer ganz normalen polizeilichen Ermittlung gehört eben das Sezieren der Erkenntnisse in so fein geschnittene Scheiben, wie sie nur mit einem Santoku-Messer herzustellen sind. Dass Marcel nicht vollkommen ist, dokumentiert der orange Hemdknopf, der wohl nur deswegen blutig ist, weil mein Unterbewusstsein das belgische Aubergine aufgefrischt hat. Das Symbol der Eier ist eine Erinnerung an ausstehende Schulden beim Gnadenhof.
    Meine Hände zittern leicht, als ich das fast noch kochende Wasser in den Filter gieße. Im Restaurant gibt es eine teure Kaffeemaschine, aber in meinem eigenen Haus bereite ich mein Aufwachgetränk auf jene altmodische Weise
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