Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Katz und Maus

Katz und Maus

Titel: Katz und Maus
Autoren: Günter Grass
Vom Netzwerk:
und steckten uns an. Wir wunderten uns, sobald wir über Dich lachen mußten. Als aber Studienrat Brunies alle Schüler unserer Klasse nach ihrem späteren Beruf fragte und Du – damals konntest Du schon schwimmen – zur Antwort gabst: »Ich werde einmal Clown werden und die Leute zum Lachen bringen«, lachte im vierekkigen Klassenzimmer niemand – und ich bekam einen Schreck, denn Mahlke machte, während er den Willen, Clown im Zirkus oder sonstwo zu werden, laut und geradeaus vor sich hinsprach, ein solch ernstes Gesicht, daß wirklich zu befürchten stand, er werde später einmal die Leute schrecklich zum Lachen bringen, und sei es durch die öffentliche, zwischen Raubtiernummer und Trapezattraktion plazierte Anbetung der Jungfrau Maria; aber das war wohl ernst gemeint, das Gebet auf dem Kahn – oder wolltest Du Spaß machen? Er wohnte in der Osterzeile und nicht in der Westerzeile. Das Einfamilienhaus stand neben zwischen und gegenüber gleichgearteten Einfamilienhäusern, die nur durch Hausnummern, eventuell dank unterschiedlich gemusterter oder geraffter Gardinen, kaum aber durch gegensätzliche Bepflanzung der schmalen Vorgärten zu unterscheiden waren. Auch hielt sich jeder Vorgarten Vogelhäuschen auf Stangen und glasierten Gartenschmuck: entweder Frösche, Fliegenpilze oder Zwerge. Vor Mahlkes Haus hockte ein keramischer Frosch. Aber auch vor dem nächsten und übernächsten Haus hockten grüne keramische Frösche.
    Kurz, es war Nummer vierundzwanzig, und Mahlke wohnte, wenn man vom Wolfsweg kam, im vierten Haus der linken Straßenseite. Die Osterzeile stieß, gleich der parallellaufenden Westerzeile, im rechten Winkel auf den Bärenweg, der parallel zum Wolfsweg lief. Wer vom Wolfsweg her die Westerzeile hinunterging, sah über ziegelroten Dächern zu linken Hand die Vorderseite und westliche Seite eines Turmes mit oxydiertem Zwiebeldach. Wer in gleicher Richtung die Osterzeile hinunterlief, sah über den Dächern zur rechten Hand die Vorderseite und Ostseite desselben Glockenturmes; denn die Christus-Kirche lag genau zwischen Osterzeile und Westerzeile auf der gegenüberliegenden Straßenseite des Bärenweges und gab mit vier Zifferblättern unterhalb des grünen Zwiebeldaches dem ganzen Viertel, vom Max-Halbe-Platz bis zur katholischen Marienkapelle, die keine Uhr hatte, von der Magdeburger Straße bis zum Posadowskiweg, nahe Schellmühl, die Uhrzeit an und ließ evangelische wie katholische Arbeiter, Angestellte, Verkäuferinnen, Volksschüler und Gymnasiasten immer pünktlich und nie konfessionell geordnet zum Arbeitsplatz oder zur Schule kommen. Von seinem Zimmer aus sah Mahlke das Zifferblatt der östlichen Turmseite. Im Dachgiebel, zwischen leichtschrägen Wänden, mit Regen und Hagel dicht über seinem in der Mitte gescheiteltem Haar, hatte er seine Bude eingerichtet: eine Mansarde voller üblichem Jungenskrimskrams, von der Schmetterlingssammlung bis zu den Postkartenfotos beliebter Schauspieler, hochdekorierter Jagdflieger und Panzergenerale; dazwischen aber ein ungerahmter Öldruck der Sixtinischen Madonna mit den beiden pausbackigen Engeln am unteren Bildrand, die schon erwähnte Pilsudskimedaille und das fromme und geweihte Amulett aus Tschenstochau neben dem Foto des Kommandanten der Narvik-Zerstörer.
    Gleich beim ersten Besuch fiel mir die ausgestopfte SchneeEule auf. Ich wohnte nicht weit weg, in der Westerzeile; doch soll nicht von mir die Rede sein, sondern von Mahlke oder von Mahlke und mir, aber immer im Hinblick auf Mahlke, denn er hatte den Mittelscheitel, er trug hohe Schuhe, er hatte mal dieses mal jenes am Hals hängen, um die ewige Katze von der ewigen Maus abzulenken, er kniete vor dem Marienaltar, war der Taucher mit dem frischen Sonnenbrand, war uns immer, wenn auch häßlich verkrampft, ein Stückchen voraus und wollte, kaum hatte er das Schwimmen gelernt, später einmal, nach der Schule undsoweiter, Clown im Zirkus werden und die Leute zum Lachen bringen.
    Auch die Schnee-Eule hatte den ernsten Mittelscheitel und zeigte, gleich Mahlke, diese leidende und sanft entschlossene, wie von inwendigem Zahnschmerz durchtobte Erlösermiene. Sein Vater hatte ihm den gut präparierten und nur zart gezeichneten Vogel, dessen Krallen Birkengeäst umspannten, hinterlassen.
    Den Mittelpunkt der Bude bildete für mich, der ich mir Mühe gab, die Schnee-Eule und den Öldruck der Madonna, sowie das Silberstück aus Tschenstochau zu übersehen, jenes Grammophon, das Mahlke in mühsamer
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher